Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Angst, mit der ich immer wieder über die Schulter blickte und versuchte, gleichzeitig den Wald links und rechts im Auge zu behalten.
In tiefer Nacht erreichte ich die Anhöhe über Forge. Ich blieb eine Zeit lang stehen und schaute auf den Ort hinunter, ob sich irgendwo Leben rührte, dann gab ich mir einen Ruck und ging weiter. Der Wind hatte aufgefrischt und ließ ab und zu den Mond zwischen Wolkenfetzen hervorlugen - eine zweifelhafte Gefälligkeit, die er mir da leistete, denn sein Licht war ebenso trügerisch wie hilfreich. Überall huschten Schatten um die Ecken der verlassenen Häuser, die Reflexe auf der unruhigen Wasseroberfläche der Pfützen auf der Straße blinkten silbern wie gezückte Dolche. Doch Ingot war tot. Kein Schiff mehr im Hafen, kein Rauch mehr aus den Kaminen. Die normalen Einwohner waren bald nach dem verhängnisvollen Überfall weggezogen, und auch die Entfremdeten hatte es offenbar nicht länger hier gehalten, nachdem es nichts mehr zu essen oder zu stehlen gab. Um die von den Piraten angerichteten Zerstörungen hatte sich nie jemand gekümmert, ein langer Winter mit Stürmen und Springfluten hatte das Zerstörungswerk fortgesetzt. Nur der Hafen wirkte bis auf die leeren Anlegestege fast wie immer. Die Molen reckten sich immer noch in die Bucht hinaus wie schützende Hände um die Piers und Docks. Doch da gab es nichts mehr zu schützen.
Ich suchte mir einen Weg durch die Geisterstadt. Jedes Mal überlief mich eine Gänsehaut, wenn ich an schief in ihren Angeln hängenden, zersplitterten Türen und an geschwärzten Fensterhöhlen in halb abgebrannten Gebäuden vorbeischlich. Welche Erleichterung dann schließlich, den modrigen Geruch der leeren Häuser hinter mir lassen zu können und vom Hafendamm über das Wasser zu blicken. Die Straße führte bis zu den Verladekais und dann im Bogen um die Bucht herum. Ein Wall aus grob behauenen Steinen hatte einst Schutz vor der stürmischen
See geboten, aber der Zahn der Zeit sowie die Unbilden der Witterung hatten bereits ihre Spuren hinterlassen. Ich ging langsam auf der Kaimauer entlang und sah, was aus der Ferne so dauerhaft gewirkt hatte, überstand vielleicht noch ein, zwei Winter, bevor das Meer sich sein Territorium zurückeroberte.
Oben am Nachthimmel kamen ab und zu hinter den vorbeiziehenden Wolken die Sterne zum Vorschein; auch der Mond zeigte und versteckte sich abwechselnd und tauchte gelegentlich den ganzen Hafen in sein verzauberndes Licht. Das Rauschen der Wellen klang wie das Atmen eines schlafenden Riesen. Es war eine Nacht wie aus einem Traum, und wie konnte ich da überrascht sein, das Phantom eines Roten Schiffes den Mondpfad kreuzen zu sehen, als es gemächlich auf die Hafeneinfahrt zuhielt. Sein Rumpf war lang und schnittig, die Masten ohne Segel, die rote Farbe an Bordwand und Bug glänzte wie frisch vergossenes Blut. In der ausgestorbenen Stadt hinter mir erhob sich keines Wächters Stimme, um die Bürger zu warnen.
Ich stand da wie gelähmt, eine vom Mondlicht umflossene einsame schwarze Gestalt auf der Kaimauer, und bestaunte fröstelnd die herannahende Erscheinung, bis das Knarren von Tauwerk und silberhell klingende Geräusch von an einem Ruderblatt abperlendem Wasser das Schiff in das Reich der Wirklichkeit versetzte.
Ich warf mich zu Boden, dann kroch ich von der Straße durch das Geröll von angeschwemmten Unrat am Fuß des Hafendamms. Mir stockte der Atem vor Grauen, das Blut hämmerte in meinen Schläfen. Ich musste den Kopf zwischen die Arme legen und die Augen schließen, um mich wieder in die Gewalt zu bekommen. Inzwischen drangen die leisen Geräusche, die sich selbst auf einem Schiff in geheimer Mission nicht
vermeiden lassen, schwach, aber deutlich über das Wasser zu mir her. Jemand räusperte sich, ein Ruder klapperte in der Dolle, ein schwerer Gegenstand fiel auf das Deck. Ich wartete auf einen Ruf oder Befehl, der mir verriet, dass man mich gesehen hatte, aber nichts geschah. Vorsichtig hob ich den Kopf und spähte zwischen den ausgebleichten Wurzeln eines toten Baumstamms hindurch. Alles war still, nirgends eine Bewegung, bis auf das Schiff, das näher und näher kam. Die Ruder hoben und senkten sich im nahezu lautlosen Gleichtakt der Bewegung.
Bald konnte ich die Seeleute reden hören. Die Sprache war der unseren ganz ähnlich, doch aus ihrem Mund klang sie so rau und hart, dass ich kaum etwas verstehen konnte. Ein Mann sprang mit einem Tau über die Bordwand und watete durch den Schlick zum
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