Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Listenreich, Chade und mir selbst. Doch da war Veritas’ Blick bereits wieder abgeirrt, und ich verließ still den Raum.
Ohne feste Absicht fing ich an, um ihn herum Veränderungen vorzunehmen. An einem Tag, während er dasaß und aß, fegte
ich das Zimmer aus und ging eigens noch einmal hinunter, um frische Binsen zu holen. Erst fürchtete ich, er könnte sich von meinem Herumwirtschaften gestört fühlen, aber schließlich hatte ich von Chade gelernt, mich leise zu bewegen. Ich redete nicht bei der Arbeit, und Veritas selbst schien weder mein Kommen noch mein Gehen zur Kenntnis zu nehmen. Aber das Zimmer wirkte dadurch freundlicher, und die Ververiablüten im Binsenstroh verströmten einen belebenden Duft. Ein anderes Mal fand ich ihn beim Hereinkommen dösend in seinem hölzernen Lehnstuhl vor. Ich besorgte Kissen, die er zwar einige Tage lang ignorierte, um sie dann schließlich doch auf dem Stuhl zu verteilen. Das Zimmer blieb kahl, weil ich fühlte, dass er es zur Aufrechterhaltung seiner Konzentration so brauchte. Bei den Dingen, die ich ihm brachte, beschränkte ich mich daher auf den einfachsten Komfort, sparte mir Gobelins oder Wandteppiche oder Vasen mit Blumen und klingelnde Äolsharfen, sondern stellte ihm zur Linderung der Kopfschmerzen, die ihn häufig plagten, blühenden Thymian in Keramiktöpfen auf und legte ihm an Schlechtwettertagen eine Decke ans Fenster - zum Schutz gegen die Feuchtigkeit und die ständige Zugluft.
Als ich am selben Tag zum zweiten Mal heraufkam, saß er erschöpft und schlafend in seinem Stuhl. Wie einen Kranken hüllte ich ihn in eine Decke. Ich stellte ihm das Tablett hin, das ich, um die Speisen warm zu halten, verdeckt hatte. Dann setzte ich mich neben seinem Stuhl auf eins der überzähligen Kissen und lauschte der Stille im Zimmer. Es herrschte eine friedliche Stimmung, und das trotz des heftigen Sommerregens vor dem offenen Fenster und der Böen, die hin und wieder zu uns hereinfegten. Ich musste wohl eingenickt sein, denn als ich erwachte, fühlte ich seine Hand auf meinem Kopf.
»Hat man dich beauftragt, sogar im Schlaf über mich zu wachen? Wovor fürchten sie sich?«
»Nichts, wovon ich wüsste. Ich habe nur den Auftrag, Euch die Mahlzeiten zu bringen und so gut wie ich kann dafür zu sorgen, dass Ihr etwas zu Euch nehmt. Weiter nichts.«
»Und die Decken und Kissen und die Töpfe mit duftenden Kräutern?«
»Mein eigener Einfall, Hoheit. Niemand verdient es, nur zwischen Stuhl, Tisch und Bett hausen zu müssen.« Im selben Moment kam mir zu Bewusstsein, wie leise wir uns miteinander unterhielten. Ich fuhr kerzengerade empor und starrte ihn an.
Auch Veritas schien zur Besinnung zu kommen, denn er rückte auf seinem unbequemen Stuhl hin und her. »Ich segne diesen Sturm, der mir eine Atempause verschafft. Drei von ihren Schiffen habe ich verführt, mitten in den Sturm hineinzusegeln. Jetzt kämpfen sie gegen die hohen Wellen. Kapitäne und Steuerleute spähen durch den Regen, um nicht unversehens an Klippen zu scheitern. Und ich kann mich ruhigen Gewissens für eine Weile dem Schlaf überlassen.« Er rieb sich die Stirn. »Ich bitte dich um Entschuldigung, Junge. In letzter Zeit erscheint mir die Gabe oft natürlicher als das Sprechen. Ich wollte mich dir nicht aufdrängen.«
»Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, mein Prinz. Ich war nur überrascht. Bisher ist es mir kaum jemals gelungen, die Gabe auszuüben. Meine Fähigkeiten, was das betrifft, sind nur schwach und unzuverlässig. Ich begreife nicht, wie ich mich Euch öffnen konnte.«
»Veritas, Junge, nicht ›dein Prinz‹. Niemandes Prinz sitzt da in einem verschwitzten Hemd und mit einem zwei Tage alten Bart. Aber was redest du für Unsinn? Man hat doch veranlasst,
dass du in der Gabe unterwiesen wirst. Ich erinnere mich noch gut, wie Philia mit ihrem Mundwerk meinem armen Vater zugesetzt hat.« Er gestattete sich ein mattes Lächeln.
»Galen hat versucht, mich zu unterweisen, aber ich war ein schlechter Schüler. Es heißt, bei Bastarden ist es oft …«
»Warte«, knurrte er und war im Nu in meinem Kopf. »So geht es schneller«, erklärte er und murmelte vor sich hin: »Was ist das für eine Abschirmung? Aha!«, und hatte sich bereits wieder von mir zurückgezogen - alles so flink und geschickt, wie Burrich einem Hund eine Zecke vom Ohr pflückte. Er schwieg lange, und auch ich wartete und wunderte mich über das, was geschehen war.
»Ich konnte mich in der Gabe mit deinem Vater messen.
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