Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
verschoben werden muss. Ich hole sie, sobald der erste Schnee fällt und ein gesegneter Sturm die Schiffe der Outislander in ihre Häfen zurückwirft.«
»Diesen Wunsch kann ich dir nicht erfüllen.« Dabei schüttelte Listenreich bedauernd den Kopf. »Sie haben ihre eigenen Bräuche dort oben in den Bergen. Eine Hochzeit im Winter verspricht keine gute Ernte. Du musst sie im Herbst zur Frau nehmen, wenn das ganze Land Frucht trägt, oder im Spätfrühling, wenn sie ihre kleinen Felder an den Berghängen bestellen.«
»Darauf können wir keine Rücksicht nehmen. Wenn es bei ihnen Frühling wird, ist bei uns hier unten das Wetter so gut, dass die Roten Korsaren in unseren Gewässern kreuzen. Das müssen sie verstehen.« Veritas bewegte seinen Kopf wie ein unruhiges Pferd am kurzen Zügel. Ihn hielt nichts mehr hier unten. So sehr er seine Arbeit mit der Gabe auch verabscheute, so sehr hatte sie ihn doch auch in ihrem Bann. Sie rief ihn zu sich,
und er folgte ihrem Ruf mehr wie ein Süchtiger als ein Beschützer des Königreichs. Ich fragte mich, ob Listenreich darüber Bescheid wusste. Und Veritas selbst?
»Für etwas Verständnis aufzubringen ist eine Sache«, erklärte der König. »Zu verlangen, dass sie gegen ihre Traditionen verstoßen, eine andere. Wir müssen uns ihren Wünschen fügen.« Er rieb sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. »Wir brauchen diese Allianz. Wir brauchen die Soldaten, wir brauchen ihre Mitgift, und wir brauchen den Vater dieses Mädchens als Verbündeten. Jegliches Abwarten wäre verhängnisvoll. Könntest du nicht vielleicht in einer geschlossenen Sänfte reisen, wo du nicht gezwungen bist, auf dein Pferd zu achten, und so unterwegs deine Arbeit fortsetzen? Vielleicht tut es dir sogar gut, einmal an die frische Luft zu kommen …«
»NEIN!«
Und so wie Veritas seine Antwort förmlich herausgebrüllt hatte, fuhr Listenreich herum und schien dort am Fenster wie in die Enge getrieben. Veritas hingegen war mit schnellen Schritten plötzlich wieder in der Mitte des Zimmers und schlug mit der Faust auf den Tisch. Ich hätte nie geglaubt, dass er so außer sich geraten könnte. »Nein, nein und nochmal nein! Ich kann die Roten Korsaren nicht mit aller Kraft meines Willens abwehren, während ich in einer schwankenden Sänfte über Stock und Stein geschaukelt werde. Und nein, ich werde nicht wie ein Invalide oder ein Dummkopf zu dieser Braut reisen, die Ihr für mich ausgesucht habt, zu dieser Frau, an die ich mich kaum erinnere. Ich will nicht, dass sie mich so sieht, und ich will nicht, dass meine Männer hinter meinem Rücken spotten und sagen: ›Das ist nun aus unserem stolzen General geworden, lässt sich in der Sänfte tragen wie ein Greis und verkauft sich um eine
Handvoll Münzen wie eine gemeine Hure.‹ Hat Euer vielgerühmter Verstand Euch im Stich gelassen, dass Ihr mir einen dermaßen törichten Vorschlag macht? Ihr kennt das Bergvolk, kennt seine Denkweise. Glaubt Ihr, eine der Frauen dort würde einen Mann zum Gemahl nehmen, der nicht imstande ist, aus eigener Kraft vor sie hinzutreten? Selbst in der königlichen Familie werden Neugeborene ausgesetzt, die schwächlich oder verkrüppelt sind. Bestehst du auf deinem Willen, schneidest du dir ins eigene Fleisch.«
»Dann vielleicht …«
»Ja, und vielleicht ist da dann gerade ein Korsarenschiff unweit der Küste von Shoaks, und schon lacht der Kapitän dort über seinen bösen Traum der vergangenen Nacht, und der Steuermann berichtigt den Kurs und rätselt, wie er sich so hat täuschen können. Die ganze Arbeit, die ich geleistet habe, während Ihr in Eurem Bett geschlafen habt und Edel mit seinen Schranzen tanzte und trank, wird zunichte, weil ich nicht an meinem Platz bin. Vater, es sei Euch überlassen, Absprachen zu treffen und einen für beide Seiten annehmbaren Kompromiss auszuhandeln, solange ich nur nicht gezwungen bin, Bocksburg bei einem für unsere Feinde günstigen Wetter zu verlassen.« Dabei übertönte das Krachen der ins Schloss fallenden Tür fast seine letzten Worte.
Listenreich starrte einige Atemzüge lang nur schweigend auf den Boden, dann fuhr er sich mit dem Handrücken über die Augen. Doch wer weiß, ob er sich damit seine Erschöpftheit, seine heimlichen Tränen oder auch nur ein Staubkorn wegwischen wollte -.
Er schaute sich im Zimmer um und runzelte verwundert die Stirn, als ich ihm - wie ein Gegenstand - wieder gegenwärtig
wurde. Dann schien er sich zu besinnen, wer ich war, und bemerkte
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