Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
auf die entschlossene Art und Weise getrunken, in die mich Burrich nun einweihte. Als die Köchin herauskam und ihn ausschimpfte, einen kleinen Jungen zur Unmäßigkeit zu verführen, bedachte er sie nur mit einem seiner wortlosen Blicke. Dieser Blick erinnerte mich an den Abend, an dem ich ihn kennengelernt hatte, als er, um Chivalrics guten Ruf und Namen zu verteidigen, einen ganzen Raum voller Soldaten zum Schweigen gebracht hatte. Und sie ging.
Er brachte mich selbst hinauf in mein Zimmer, beförderte mich ins Bett und warf mir eine Decke über. »Jetzt wirst du schlafen«, ordnete er mit rauer Stimme an. »Und morgen tun wir das Gleiche wieder. Und wieder. Bis du eines Tages aufwachst und feststellst: Was immer mir Sorgen bereitet hat, es hat mich nicht umgebracht.«
Damit blies er die Kerze aus und ging. In meinem Kopf drehte sich alles, und meine Glieder schmerzten von der harten Arbeit. Trotzdem schlief ich noch nicht ein. Ich bemerkte, wie ich weinte. Der Alkohol hatte meinen inneren Knoten gelöst, und ich weinte hemmungslos und laut vor mich hin. Ich schluckte und würgte, meine Kehle schnürte sich zusammen, meine Nase lief, und ich schluchzte so laut und krampfhaft, dass ich kaum noch atmen konnte. Ich glaube, ich vergoss jede einzelne Träne, die bisher ungeweint geblieben war, seit mein Großvater meine Mutter gezwungen hatte, mich fortzugeben. »Mama!«, hörte ich mich rufen, und plötzlich war ich fest von Armen umschlungen, die mich trösteten.
Chade drückte mich an die Brust und wiegte mich, als wäre ich noch ein kleines Kind. Selbst in der Dunkelheit erkannte ich seine knochigen Arme und seinen Geruch nach Staub und Kräutern. Ungläubig klammerte ich mich an ihm fest und weinte, bis ich heiser war und mein Mund so ausgedörrt, dass kein Laut mehr herauskam. »Du warst im Recht«, flüsterte er leise und beschwichtigend in mein Haar. »Du warst im Recht. Ich habe von dir verlangt, etwas Falsches zu tun, und es war richtig von dir, Nein zu sagen. Du wirst nie wieder so auf die Probe gestellt werden. Nicht von mir.« Als ich endlich still war, verließ er mich für kurze Zeit und brachte mir dann statt Wasser einen lauwarmen und fast geschmacklosen Trunk. Er hielt das Glas an meine Lippen, und ich trank es widerspruchslos leer. Dann legte ich mich zurück, weil ich auf einmal so schläfrig war, dass ich mich nicht einmal erinnern kann, wie Chade hinausging.
Ich erwachte kurz vor Tagesanbruch, und nach einem herzhaften Frühstück meldete ich mich bei Burrich. Die Arbeit ging mir schnell von der Hand, nichts war mir zu viel, und ich konnte beim besten Willen nicht verstehen, weshalb er so bleich und übellaunig herumschlich. Er brummte etwas von »trinkfest wie sein Vater« und ließ mich ungewöhnlich früh mit der Bemerkung gehen, ich solle mich doch mit meiner penetranten Fröhlichkeit verpfeifen.
Drei Tage später wurde ich in aller Herrgottsfrühe zum König gerufen. Er war bereits angekleidet, und auf einem großen Tablett war für mehr als eine Person mit Speisen gedeckt. Sobald ich eingetreten war, schickte er seinen Leibdiener hinaus und forderte mich auf, Platz zu nehmen. Ich setzte mich an den kleinen Tisch, und ohne zu fragen, ob ich hungrig war, bediente er
mich mit eigenen Händen und setzte sich danach mir gegenüber ebenfalls zum Frühstück nieder. Ich war beeindruckt, trotzdem brachte ich kaum einen Bissen herunter. Der König redete nur vom Essen und erwähnte mit keinem Wort etwas von Abmachungen, Gefolgschaftstreu oder Wortbruch. Als er sah, dass ich mit dem Frühstück fertig war, schob auch er seinen Teller zurück und rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
»Es war meine Idee«, sagte er plötzlich, beinahe schroff. »Nicht seine. Er war von Anfang an dagegen, aber ich bestand darauf. Wenn du älter bist, wirst du das verstehen. Ich kann kein Risiko eingehen, mit niemandem. Aber ich habe ihm versprochen, dass du die Wahrheit aus meinem eigenen Munde erfahren würdest. Also: Es war meine Idee, nicht seine. Und ich werde nie wieder von ihm verlangen, deine natürlichen Veranlagungen derart auf die Probe zu stellen. Darauf hast du das Wort eines Königs.«
Dann war ich mit einem Wink entlassen. Aber als ich aufstand, nahm ich ein kleines ziseliertes Silbermesser von seinem Tablett, mit dem er sein Obst geschnitten hatte. Ich sah ihm in die Augen, als ich das Messer offen und unverhohlen in den Ärmel schob. König Listenreich hob die Brauen, doch er sagte kein
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