Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Zweifel, ob das, was sie tat, denn auch klug war.
Die Tafeln waren traditioneller Art - in Form geschnittene und glattgeschmirgelte einfache Bretter. Auf fünf dieser Bretter waren die Buchstaben sorgsam aufgepinselt und danach mit einer
gelblichen Harzschicht überzogen worden. Auf vieren waren genau beschriebene Kräuterrezepte für Heilkerzen aufgetragen worden. Während ich mit gedämpfter Stimme vorlas, konnte ich sehen, wie Molly angestrengt bemüht war, sich das Gehörte einzuprägen. Bei der fünften Tafel zögerte ich. »Das hier ist kein Rezept.«
»Was denn sonst?«
Ich zuckte die Schultern und las weiter. »Am heutigen Tag wurde meine Molly Blaustern geboren, zart und süß wie jene kleine Blume. Zur Linderung der Geburtswehen verbrannte ich zwei Lorbeerkerzen und zwei Becherlichter, parfümiert mit zwei Handvoll der kleinen Veilchen, die bei Dowells Mühle wachsen, dazu eine Handvoll, sehr klein gehackte Rotwurzel. Möge sie desgleichen tun, wenn die Zeit gekommen ist, und ihre Stunde wird so leicht sein wie meine und die Frucht ihres Leibes ebenso vollkommen. Daran glaube ich fest.«
Das war alles, und als ich zu Ende gelesen hatte, senkte sich auf uns eine fast greifbare Stille herab. Molly nahm mir die letzte Tafel aus der Hand und starrte sie an, als könnte sie zwischen den Zeilen Dinge sehen, für die ich blind war. Als ich meine Füße bewegte, zuckte sie zusammen und wurde an meine Gegenwart erinnert. Schweigend sammelte sie die Tafeln ein und verschwand wieder hinter dem Vorhang.
Als sie zurückkam, nahm sie zwei hohe Wachsstöcke aus einem Regal und aus einem anderen zwei dicke rosafarbene Kerzen.
»Ich brauche nur …«
»Still. Sie kosten nichts. Ihr Honigbeerendurft wird dir ruhige Träume bescheren. Ich mag ihn sehr, und du wirst ihn auch mögen.« Ihre Stimme klang freundlich, während sie das sagte
und die Kerzen vorsichtig in meinen Korb legte, doch ich spürte, wie sie auf mein Fortgehen wartete. Trotzdem begleitete sie mich zur Tür und öffnete sie leise, um ihren Vater nicht zu wecken. »Auf Wiedersehen, Neuer«, sagte sie und schenkte mir zum Abschied ein echtes Lächeln. »Blaustern. Ich wusste nie, dass sie mich so genannt hatte. Blaufleck riefen sie mich auf der Straße. Ich nehme an, dass die älteren Kinder, die wussten, wie meine Mutter mich genannt hatte, das für lustig hielten. Und nach einer Weile ist mein richtiger Name in Vergessenheit geraten. Nun, es macht mir nichts aus. Ich habe ihn jetzt. Den Namen, den mir meine Mutter gegeben hat.«
»Er passt zu dir«, platzte ich unwillkürlich mit meinem Kompliment heraus, und während sie mich verdutzt anstarrte und mir die Schamesröte in die Wangen stieg, machte ich mich eilig davon. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass es später Nachmittag und fast schon Abend war. In aller Eile erledigte ich den Rest meiner Einkäufe; den letzten Posten auf meiner Liste, einen Wieselbalg, musste ich mir durch die geschlossenen Fensterläden eines Kaufmanns erbetteln. Widerwillig schloss er die Tür auf und murrte, er würde seine Abendmahlzeit doch gerne heiß essen, aber ich dankte ihm dermaßen überschwenglich, dass er mich wohl schlicht für etwas einfältig hielt.
Auf dem Rückweg zur Burg hörte ich auf dem steilsten Teil des Weges unerwartet Hufschläge hinter mir. Sie näherten sich aus der Richtung der Kais, und die Pferde hielten Galopp. Merkwürdig. Niemand unten im Ort hatte Pferde, dazu waren die Straßen zu steil und felsig, als dass man großen Nutzen aus Pferden hätte ziehen können. So etwas war schlicht lächerlich. Denn die ganze Stadt drängte sich auf so engem Raum, dass ein
Ausritt dort höchstens zur Befriedigung der eigenen Eitelkeit hätte dienen können. Demnach musste es sich um Pferde aus den Burgställen handeln. Ich trat zur Seite und wartete neugierig darauf, wer hier Burrichs Zorn herausforderte, indem er bei schlechtem Licht und auf nassem Kopfsteinpflaster seine Pferde zu derart halsbrecherischer Gangart anspornte.
Zu meiner Überraschung waren es Edel und Veritas auf den beiden schwarzen Wallachen, die Burrichs ganzen Stolz darstellten. Veritas trug einen federgeschmückten Stab in der Hand, den Herolde als Zeichen für eine Nachricht von allerhöchster Wichtigkeit mitführten. Als sie mich reglos am Straßenrand stehen sahen, zügelten sie ihre Pferde so heftig, dass Edels Tier scheute und fast in die Knie gegangen wäre.
»Burrich wird außer sich geraten, wenn einem der Rappen
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