Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Nachricht weitermelden. Vorausgesetzt, Ödholm entzündete ein solches Feuer.
Aus Tradition gehörten die Fischgründe und Muschelbänke von Ödholm dem Herzogtum Rippon, und deshalb fiel Rippon auch die Aufgabe zu, den Turm zu bemannen. Aber das bedeutete, den Transport von Menschen und Lebensmitteln zu organisieren, von Holz und Öl für die Signalfeuer, außerdem mussten Ausbesserungsarbeiten vorgenommen werden, um das Bauwerk wetterfest zu machen. Es war ein ungeliebter Posten für Soldaten, und man munkelte, dorthin abkommandiert zu werden, käme einer Strafversetzung gleich. Mehr als einmal hatte Kelvar bei Trinkgelagen herausposaunt, wenn die Bemannung des Turms für Shoaks so wichtig war, solle Lord Shemshy sich doch gefälligst selbst darum kümmern. Womit aber Rippon keinesfalls
vorhatte, gleichzeitig die reichen Fischgründe vor der Insel Shoaks abzutreten.
Lord Shemshys Geduld war deshalb am Ende, als zu Beginn des Frühjahrs in einer großangelegten Angriffswelle die Piraten ohne Vorwarnung über die Küstensiedlungen von Shoaks herfielen. Alle Hoffnungen auf eine rechtzeitige Ernteaussaat wurden zunichtegemacht und die meisten der trächtigen Schafe wurden entweder abgeschlachtet, gestohlen oder in alle Winde verstreut. Nun hatte Lord Shemshy beim König laut und öffentlich darüber Klage geführt, dass sein Nachbar es versäumte, die Türme zu bemannen. Kelvar leugnete dies und argumentierte, die kleine Besatzung auf Ödholm sei für einen Außenposten, der nur selten verteidigt werden musste, völlig ausreichend. Der Turm dort brauche Wächter, und nicht Soldaten, erklärte er. Zu diesem Zweck hatte er eine Anzahl älterer Männer und Frauen in dem Turm einquartiert. Nur eine Handvoll davon waren Soldaten, die meisten aber Zivilisten aus Guthaven; Schuldner und Taschendiebe und alternde Huren, behaupteten manche, während Anhänger des Herzogs versicherten, es handele sich um in Not geratene Bürger, die eines sicheren Auskommens bedurften.
Über diese ganzen Zusammenhänge war ich durch das Gerede in den Tavernen und Chades politische Lektionen besser unterrichtet, als Burrich wissen konnte, doch ich biss mir auf die Zunge und lauschte geduldig seinen weitschweifigen Erklärungen. Nicht zum ersten Mal fiel mir auf, dass er mich für etwas begriffsstutzig hielt. Er deutete meine Schweigsamkeit aber eher als Geistlosigkeit und weniger als fehlenden Gesprächsbedarf.
Nach dieser Einleitung nahm Burrich die Mühe auf sich, mich umständlich in den Umgangsformen zu unterweisen, die,
sagte er mir, die meisten anderen Kinder einfach durch Zusehen und Nachahmung lernten. Man grüßte die Leute, die man an diesem Tag noch nicht getroffen hatte oder die sich in einem Zimmer aufhielten, das man gerade betrat. Alles andere war unfreundlich. Man redete Leute mit Namen an, und wenn sie älter waren als ich oder von höherem Stand (was auf fast jeden zutraf, dem ich auf dieser Reise begegnen würde), sprach man sie auch mit dem Titel an. Dann belehrte er mich über das Protokoll, zum Beispiel, wem ich beim Verlassen eines Raumes den Vortritt lassen musste und bei welcher Gelegenheit. Dann das Kapitel Tischmanieren: Es galt darauf aufzupassen, welchen Platz man mir anwies, aufzupassen, wer am Kopf dieser Tafel saß, und mich beim Essen nach dem Betreffenden richten; wie man sich bei einem oder gar mehreren aufeinanderfolgenden Trinksprüchen verhielt, ohne dabei das Maß zu verlieren. Auch wie man mit seinem Tischnachbarn oder seiner Tischnachbarin wohlerzogen Konversation betrieb, beziehungsweise - was sich meiner mehr geziemte - ihnen aufmerksam zuhörte. Und so weiter. Und so weiter. Bis ich mich regelrecht danach sehnte, einen Berg Zaumzeug zu putzen.
Burrich ließ nicht zu, dass ich mich in Tagträumen verlor. Er gab mir einen heftigen Stoß gegen die Schulter. »Und das gehört sich ebenfalls nicht. Du siehst aus wie ein Schwachkopf, wenn du mit offenem Mund ins Leere starrst. Glaub nicht, das merkt niemand. Und zieh nicht so ein Gesicht, wenn man dich ermahnt, setz eine freundliche Miene auf. Und nicht dein albernes Grinsen, du Tölpel. Liebe Güte, Fitz, was soll ich bloß mit dir anfangen? Wie kann ich dich beschützen, wenn du dich selbst in Schwierigkeiten bringst? Und weshalb nimmt man dich mit auf diese Reise?«
Die beiden letzten Fragen, die er an sich selbst gerichtet hatte, verrieten seine wahre Sorge. Vielleicht war ich tatsächlich etwas schwer von Begriff, weil ich es nicht früher erkannt
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