Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
entbehrlich, außer man betrachtet uns als Faustpfand zur eigenen Sicherheit. Du hast in den letzten Jahren eine ganze Menge von mir gelernt, aber was ich dir jetzt sage, merke dir gut und vergiss es niemals. Sobald du ihnen nicht mehr nützlich bist, werden sie sich deiner entledigen.«
Ich sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Ich bin ihnen doch schon jetzt nicht von Nutzen.«
»Nein? Ich werde alt. Du bist jung und beeinflussbar, und in deinen Adern fließt das Blut der königlichen Familie. Solange du keinen unangemessenen Ehrgeiz an den Tag legst, hast du nichts zu befürchten.« Er zögerte kurz und fügte dann mit sorgfältiger Betonung hinzu: »Wir sind des Königs, Junge, seine Kreaturen. In einem Ausmaß, das dir vielleicht noch nicht bewusst ist. Niemand weiß, was ich tue, und die meisten haben vergessen, wer ich bin. Oder wer ich war. Wenn jemand über uns Bescheid weiß, dann von ihm.«
Ich setzte die Mosaiksteinchen vorsichtig zusammen. »Dann … - du hast gesagt, jemand in der Burg zieht die Fäden. Doch wenn du den Auftrag nicht bekommen hast, dann war der Auftraggeber nicht etwa König Listenreich, sondern … die Königin!«
Chades Augen verrieten nichts von seinen Gedanken. »Das ist ein gefährlicher Verdacht. Noch gefährlicher, falls du glaubst, irgendetwas unternehmen zu müssen.«
»Warum?«
Chade seufzte. »Wenn du dich nur an eine Vermutung klammerst und sie ohne Beweise als Wahrheit nimmst, machst du dich blind für alle anderen Möglichkeiten. Du musst alles in Betracht ziehen. Vielleicht war es ja ein Unfall. Vielleicht wurde Chivalric von jemandem getötet, den er sich in Weidenhag zum Feind gemacht hat. Vielleicht galt der Anschlag gar nicht ihm als Prinz. Oder vielleicht hat der König sogar einen weiteren Assassinen in Lohn und Brot, von dem ich nichts weiß, und es war doch des Königs eigene Hand, die sich gegen seinen Sohn erhob und ihn ermorden ließ.«
»Du glaubst doch selbst nichts von alledem«, sagte ich im Brustton der Überzeugung.
»Nein. Allerdings nicht. Weil ich keine Beweise für irgendeine dieser Vermutungen habe. Ebenso wenig, wie ich beweisen kann, dass dein Vater einer Intrige der Königin zum Opfer gefallen ist.«
Das ist alles, was mir von unserem Gespräch damals im Gedächtnis geblieben ist. Doch ich bin sicher, Chade wollte erreichen, dass ich mir Gedanken darüber machte, wer schuld am Tod meines Vaters sein könnte, damit ich lernte, mich vor der Königin in Acht zu nehmen. Tatsächlich behielt ich gut und lange in Erinnerung, was er gesagt hatte. Ich ging meinen Pflichten nach, mein Haar wuchs nach, und im Hochsommer schien das Leben wieder in gewohnten Bahnen zu verlaufen. Alle paar Wochen führten Botengänge mich in den Ort hinunter. Bald fiel mir auf, dass, unabhängig davon, wer mich schickte, ein oder
zwei Posten auf der Liste in Chades Quartier abzuliefern waren. Deshalb konnte ich leicht erraten, wer hinter meinen kurzen Ausflügen in die Freiheit steckte. Nicht jedes Mal ergab sich eine Gelegenheit, etwas Zeit mit Molly zu verbringen, aber mir genügte es schon, vor dem Ladenfenster zu stehen, bis sie mich bemerkte und mit einem Nicken grüßte. Einmal hörte ich auf dem Markt, wie jemand die Qualität ihrer parfümierten Kerzen lobte und sagte, dass seit dem Tod ihrer Mutter keine so angenehmen und wohltuenden Kräuterlichter mehr zu haben gewesen wären. Ich lächelte und freute mich für sie.
Der Sommer brachte wärmeres Wetter an unseren Küsten und in dessen Gefolge die Outislander. Manche kamen als ehrbare Kaufleute, mit den Erzeugnissen der Kaltgebiete - Pelze, Bernstein, Elfenbein, Krüge voller Öl - und mit spannenden Geschichten, bei denen mir immer noch wie in meiner Kindheit ein Schauer über den Rücken läuft. Unsere Seeleute misstrauten diesen Kaufleuten und nannten sie Spione und Schlimmeres. Doch ihre Waren ließen nichts zu wünschen übrig, und das Gold, mit dem sie Wein und Korn bezahlten, war gediegen und schwer, und unsere Händler nahmen es gern.
Da waren aber noch ihre Landsleute, jene anderen Outislander, die unsere Küsten brandschatzten, allerdings niemals in unmittelbarer Nähe von Bocksburg. Sie kamen mit Dolchen und Fackeln, mit Bögen und Rammböcken, um dieselben Dörfer zu überfallen und zu plündern, die sie schon von Jahr zu Jahr überfallen und geplündert hatten. Manchmal erschien es wie ein ausgeklügelter, wenn auch blutiger Wettstreit: Für sie galt es, nichtsahnende oder unzureichend
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