Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
»In zwei Wochen verstehst du vielleicht den Grund dafür.«
Und mehr wurde zwischen uns darüber nicht gesprochen.
Nach meiner Rechnung war ich dreizehn Jahre alt.
KAPITEL 8
LADY QUENDEL
E ine Geschichte der Herzogtümer ist zwangsläufig ein Abbild ihrer Geografie. Der Hofschreiber König Listenreichs, ein gewisser Fedwren, pflegte dies zu sagen. In der Tat haben meine Erfahrungen diesen Ausspruch bestätigt. Vielleicht ist die Geschichte aller Länder nur die Folge ihrer natürlichen Grenzen. Getrennt durch Meer und Eis, entwickelten wir und die Outislander uns zu eigenen Völkern; wegen der fetten Weiden und fruchtbaren Äcker der Herzogtümer wurden wir zu Feinden - davon könnte das erste Kapitel einer Geschichte der Herzogtümer handeln. Den Flüssen Bär und Vin verdankt Tilth seine üppigen Weinberge und Obsthaine, Sandsedge hingegen lag hinter dem Sonnengratmassiv zwar geschützt, aber auch isoliert und war eine leichte Beute für unsere gut organisierte Armee.
Ich wurde vor dem ersten Hahnenschrei aus dem Schlaf gerissen und staunte, dass ich überhaupt geschlafen hatte. Dank Burrichs Strenge und Umsicht am Abend zuvor, hatte ich mein Bündel bereits geschnürt. Von mir aus stand einem sofortigen Aufbruch nichts im Wege, doch um einen großen Trupp von Menschen
auf den Weg zu bringen, bedarf es zeitraubender Vorbereitungen. Stunden vergingen, und die Sonne stand bereits am Horizont, bevor wir alle versammelt und marschbereit waren.
»Angehörige des Königshauses«, hatte Chade mich gewarnt, »reisen niemals leicht. Veritas steht bei dieser Mission für die Autorität des Monarchen. Das Volk soll ihm auf seinem Weg mit Staunen und Ehrfurcht begegnen. Und so soll auch die Nachricht von seinem Kommen ihm vorauseilen, so dass Kelvar und Shemshy angesichts seiner Macht und Herrlichkeit sich wünschen, sie hätten nie irgendwelche Streitigkeiten gehabt. Das ist wahre Regierungskunst - in den Untertanen den Wunsch zu erwecken, sich so zu verhalten, dass der Souverän keinen Anlass zur Einmischung hat.«
Deshalb reiste Veritas mit einem Pomp, der seinem soldatischen Naturell sichtlich zuwider war. Die Männer seiner Leibgarde trugen außer seinen Farben auch das Bockswappen der Weitseher und ritten in geschlossener Formation vor den regulären Truppen. Für mich war das allein schon beeindruckend genug. Um den kriegerischen Eindruck zu mildern, ließ der Kronprinz sich von einer großen Entourage begleiten, die am Ende des Tages wie am Königshof für Zerstreuung und Unterhaltung sorgen sollte. Darunter befanden sich Falken und Hunde mit ihren Betreuern, Musikanten und Barden, ein Puppenspieler, Pagen, Zofen, Laufburschen, Köche, zum Schluss die hochbeladenen Lasttiere - so zog der bunte Tross hinter den berittenen Edelleuten her und bildete den Hauptteil unserer Karawane.
Mein Platz war ungefähr in der Mitte des Zuges. Ich saß auf Rußflocke und ritt neben einer luxuriösen Sänfte einher, die von zwei behäbigen grauen Wallachen getragen wurde. Flink, einen der etwas aufgeweckteren Stallburschen, hatte man auf ein Pony
gesetzt und ihm den Auftrag gegeben, die Grauen zu versorgen. Ich sollte mich um unser Packtier und die Insassin der Sänfte kümmern. Letztere war die hochbetagte Lady Quendel, die ich bis dahin noch nicht kennengelernt hatte. Als sie endlich erschien, um ihre Sänfte zu besteigen, war sie dermaßen eingehüllt in Umhänge, Schleier und Schals, dass mir nur zweierlei auffiel: Sie gehörte ganz gewiss nicht zur Sorte der Matronen, sondern war eher eine hagere alte Dame, und ihr Parfüm brachte Rußflocke zum Niesen. Sie nahm in der mit Kissen, Decken und Pelzen ausgepolsterten Sänfte Platz und befahl ungeachtet des schönen Morgens sofort, die Vorhänge zu schließen. Die beiden kleinen Mädchen, die sie begleitet hatten, huschten erleichtert davon und ließen mich allein mit ihr. Mir wurde ganz anders. Ich hatte erwartet, dass wenigstens eine Zofe sie begleitete. Wer würde sich denn um ihre persönlichen Bedürfnisse kümmern, wenn abends das Lager aufgeschlagen wurde? Ich hatte keine Ahnung davon, wie man einer Dame aufwartete, schon gar nicht einer sehr viel älteren Dame. Am besten, ich folgte Burrichs Rat für einen Jüngling im Umgang mit älteren Damen: Sei aufmerksam, höflich, immer wohl gelaunt und zuvorkommend. Auch eine gestrenge Matrone sah mit Wohlgefallen auf einen freundlichen und fleißigen jungen Mann. Behauptete Burrich. Ich näherte mich der Sänfte.
»Lady
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