Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
beinahe seekrank zu werden. Das Wasser, das ich vom Bach holte, war ihr zu kalt, das aus der Flasche zu warm. Die Reiter vor uns wirbelten zu viel Staub auf - absichtlich, da war sie sich sicher, denn man wollte sie quälen. Und sie sollten aufhören, diese ordinären
Lieder zu grölen. Ich war so sehr mit ihr beschäftigt, dass mir gar keine Zeit blieb, moralische Erwägungen über die Ermordung Lord Kelvars anzustellen, selbst wenn ich es gewollt hätte.
Früh am fünften Tag sichteten wir den Rauch aus den Schornsteinen von Guthaven. Gegen Mittag konnten wir die größeren Gebäude erkennen und den Wachtturm auf den Klippen über der Stadt. Dieser Landstrich war viel freundlicher als die Gegend um Bocksburg. Die vor uns liegende Straße schlängelte sich durch ein weites Tal, und vor uns erstreckte sich die blaue Wasserfläche der Bucht, die von sandigen Stränden umrahmt war. Guthavens Fischereiflotte bestand aus flachen Schleppkähnen und schnittigen kleinen Booten, die wie Möwen auf den Wellen ritten. Der Hafen besaß im Gegensatz zu Bocksburg nicht die nötige Tief, um für Großsegler und Handelsschiffe geeignet zu sein. Deshalb herrschte auch nicht eine solch große Umtriebigkeit wie bei uns. Doch insgesamt fand ich, es könnte durchaus ein angenehmer Ort sein, um dort zu leben.
Kelvar schickte uns eine Ehrengarde entgegen, und während die Offiziere Formalitäten austauschten, musste alles haltmachen. »Wie zwei Hunde, die sich gegenseitig beschnüffeln«, meinte Flink mürrisch. Als ich mich in den Steigbügeln aufrichtete, sah ich weit vorne den Ablauf des Zeremoniells, weshalb ich ihm auch widerwillig Recht geben musste. Letzten Endes ging es dann doch irgendwann weiter, und bald schon ritten wir durch die Straßen von Guthaven.
Während jedoch fast der gesamte Tross den Weg zu Kelvars Burg nahm, hatten Flink und ich die Pflicht, Lady Quendel durch mehrere Seitenstraßen zu dem bestimmten Wirtshaus zu begleiten, in dem sie absteigen wollte. Nach dem Ausdruck auf dem Gesicht der Dienstmagd zu urteilen, logierte sie nicht zum
ersten Mal dort. Flink brachte die Pferde zusammen mit der Sänfte in den Stall, und mir blieb es allein überlassen, unsere Tyrannin zu ihrem Gemach zu geleiten. Ich fragte mich, was sie nur gegessen haben mochte, da jeder ihrer fauligen Atemzüge mir übelerregend aufstieß. An der Tür entließ sie mich und drohte mir Hunderte von Strafen an, falls ich nicht pünktlich nach sieben Tagen wiederkäme. Als ich ging, hörte ich dann noch voller Mitgefühl für die Dienstmagd, wie die sattsam bekannte scharfe Stimme Lady Quendels zu endlosen Tiraden über faule, unordentliche und diebische Zimmermädchen anhob.
Wie von einer Last befreit stieg ich in den Sattel und rief Flink zu, er solle sich beeilen. Wir ritten im Trab durch die Gassen von Guthaven und kamen gerade noch rechtzeitig dazu, um mit der Nachhut von Veritas’ Tross in Kelvars Festung einzuziehen. Burg Seewacht war auf flachem Land erbaut, das wenig natürlichen Schutz bot, aber durch eine Reihe von Wällen und Gräben befestigt, die ein Feind zuerst zu überwinden hatte, bevor er vor den starken Mauern der Burg stand. Flink erzählte mir, dass noch kein Angreifer über den zweiten Graben hinausgekommen war, und ich glaubte ihm. Handwerker führten Ausbesserungsarbeiten an dem Glacis durch, doch als unser langer Zug an ihnen vorüberritt, hielten sie inne und verfolgten staunend die Ankunft des Thronfolgers in Seewacht. Sobald die Tore sich hinter uns geschlossen hatten, nahm eine weitere, beinahe endlose Begrüßungszeremonie ihren Lauf. Menschen und Pferde, Wagen und Packtiere mussten in der Mittagssonne ausharren, während Kelvar und die Stadt den hohen Gast willkommen hießen. Hörner ertönten und dann hörte man in der Folge das Murmeln offizieller Ansprachen, die untermalt waren vom Stampfen der Hufe, dem Klirren und Knarren von Zaumzeug und Sattelleder und
von gedämpften Flüchen. Dass es vorbei war, erfuhren wir erst durch die Welle der Bewegung, die durch die Reihen lief, und als der geordnete Zug sich langsam auflöste.
Die Reiter stiegen ab, und plötzlich waren überall Kelvars Knechte und Stallburschen, die uns zeigten, wo wir unsere Pferde tränken konnten, wo unsere Schlafstellen waren und - das Wichtigste für jeden Soldaten - wo es für uns Waschgelegenheiten und Essen gab. Flink und ich führten Rußflocke und das Pony zu den Ställen, als ich plötzlich meinen Namen rufen hörte. Sig aus Bocksburg
Weitere Kostenlose Bücher