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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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ganzen Reichtum menschlicher Empfindungen herauszulesen. Einige Frauen kicherten albern vor sich hin, andere setzten ein höhnisches Lächeln auf. Manche der jungen Männer warfen sich in Positur, um ihre kostbare Garderobe zur Geltung zu bringen, andere, in schlichterem Gewand, nahmen eine militärisch straffe Haltung ein. Ich sah Neid und Liebe, Geringschätzung, Furcht und in einigen Augen auch Hass. Doch Veritas hatte für all das nur einen flüchtigen Blick, bevor er die Treppe hinunterstieg. Die Menge teilte sich, und Lord Kelvar kam uns entgegen, um seine Gäste in den Speisesaal zu geleiten.
    Der Herzog entsprach nicht meinen Erwartungen. Veritas hatte ihn geckenhaft genannt, doch mir erschien er wie ein rasch alternder Mann, der hager und von Sorgen geplagt war
und der seine extravaganten Kleider trug, als wären sie eine Rüstung gegen die Zeit. Er schien sich immer noch als Krieger zu betrachten, denn sein ergrauendes Haar war im Nacken zu einem dünnen Schweif zusammengefasst, und er schritt mit dem eigentümlichen Gang eines herausragenden Schwertkämpfers einher.
    Ich sah ihn, wie Chade mich gelehrt hatte, Menschen zu sehen, und ich glaubte, ihn schon ziemlich gut zu kennen, noch bevor wir an der Tafel saßen. Doch nachdem wir unsere Plätze eingenommen hatten (meiner befand sich gar nicht weit entfernt vom Kopfende des Tisches), erhielt ich einen noch weit tieferen Einblick in die Seele des Mannes. Und das nicht etwa durch sein Verhalten, sondern mit dem Auftritt seiner Gemahlin, als diese erschien, um sich zu uns zu gesellen.
    Kelvars Lady Grazia war höchstens fünf Jahre älter als ich und zurechtgemacht wie zu einem Empfang bei Hofe. Nie zuvor hatte ich einen Aufputz gesehen, der so augenfällig einen prallen Geldbeutel verriet und so wenig Geschmack bezeugte. Voller übertriebenem und geziertem Gehabe setzte sie sich nieder, und auch ihr Parfüm, das wie eine Brandungswoge über mich hinwegrollte, roch mehr nach Geldstücken als nach Blumen. Sie hatte einen kleinen Hund bei sich, ein seidiges Geschöpf mit riesigen Augen, der auf ihrem Schoß sitzen durfte. Während sie zwitschernd auf ihn einredete, schaute sie verstohlen zu Prinz Veritas, ob er sie zur Kenntnis nahm und von ihr beeindruckt war. Ich hingegen beobachtete Kelvar, der wiederum die Versuche seiner Frau beobachtete, mit dem Prinzen zu kokettieren, und ich dachte bei mir: Da sitzt der Schlüssel zu unseren Schwierigkeiten mit den Wachttürmen.
    Das Essen war für mich eine einzige Tortur. Nach dem langen
Tag hatte ich furchtbaren Hunger, aber die Etikette verbot, dass ich es zeigte. Ich aß, wie man es mich gelehrt hatte, nahm den Löffel, wenn Veritas nach dem seinen griff, und winkte eine Schüssel vorbei, wenn er sich daran nicht interessiert zeigte. Wie gerne hätte ich einfach nur einen großen Teller Eintopf gehabt, dazu Brot, um den Sud auszutunken, doch was man uns servierte, waren kleine marinierte Fleischhappen, allerlei exotisches Obstkompott, helles Brot und Gemüse, das zuerst zerkocht und dann mit Gewürzen wieder aufgepeppt worden war. Alles in allem war dies ein trauriges Schauspiel dafür, wie gute Zutaten im Namen moderner Kochkunst vergewaltigt wurden. Ich bekam mit, dass Veritas genauso wenig Appetit hatte wie ich, und fragte mich, ob wohl die ganze Gesellschaft merkte, wie wenig der Prinz begeistert war.
    Chades Lehren hatten sich mir besser eingeprägt als erwartet. Es bereitete mir keine Mühe, mich meiner Tischnachbarin, einer sommersprossigen jungen Frau, höflich zuzuwenden. Während sie sich darüber beklagte, dass es in Rippon neuerdings unmöglich war, guten Leinenstoff zu bekommen, spitzte ich gleichzeitig die Ohren, um zu hören, was sonst noch am Tisch gesprochen wurde. Keine einzige Unterhaltung drehte sich allerdings um die Angelegenheit, die uns hergeführt hatte. Darüber würden Veritas und Herzog Kelvar morgen hinter geschlossenen Türen konferieren. Doch vieles von dem, was ich an Gesprächsfetzen aufschnappte, bezog sich auf die Bemannung des Turms auf Ödholm und warf ein merkwürdiges Licht auf die Geschichte.
    Man beschwerte sich, die Straßen wären nicht in so gutem Zustand wie früher. Eine Dame freute sich über die Ausbesserungsarbeiten an den Bastionen von Seewacht und dass sie endlich
weitergeführt würden, und ihr Gegenüber murrte, es trieben sich so viele Räuberbanden herum, dass er bei Warenlieferungen aus Farrow ein Drittel Verlust im Voraus einkalkulieren musste. Da schien

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