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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Schar gegen uns vorzurücken begann. Einige hielten Steine in der Hand, andere hatten sich im Wald Äste oder Zweige abgerissen, um sie als Knüppel zu gebrauchen. Alle miteinander hatten das verwahrloste Aussehen von Städtern, die gezwungen worden waren, im Freien zu leben. Wir waren so auf den Rest der Bürger von Ingot gestoßen, jene, die nicht von den Korsaren verschleppt worden waren. Das alles begriff ich in den Momenten zwischen meinen Hackenstößen in Rußflockes Flanken und ihren ersten kraftlosen Galoppsprüngen hangaufwärts. Unsere Pferde waren derart erschöpft, dass selbst der Steinhagel, der hinter ihnen niederging, sie nicht zu größerer Schnelligkeit anzutreiben vermochte. Wären die Dörfler ausgeruhter gewesen oder weniger ängstlich, hätten sie uns leicht einholen können. Doch ich glaube, sie waren heilfroh, uns in die Flucht geschlagen zu haben. Was scherten sie zwei Fremde, und seien sie noch so geheimnisvoll, wenn in den Gassen ihres Heimatortes das Grauen umging.
    Sie standen auf dem Weg und schrien und schwenkten ihre Stöcke, bis wir zwischen den Bäumen verschwanden. Chade hatte die Führung übernommen, und ich stellte keine Fragen, als er außerhalb der Sichtweite der Flüchtlinge aus Ingot auf einen parallel verlaufenden Pfad einschwenkte. Die Pferde verfielen wieder in ihren lustlosen Trott. Ich war dankbar für die welligen Hügel und die verstreuten Baumgruppen, die uns den Blicken möglicher Verfolger entzogen. Als ich das Glitzern eines
Wasserlaufs bermerkte, machte ich Chade wortlos darauf aufmerksam. Still und leise tränkten wir die Pferde und gaben jedem eine Handvoll Korn aus Chades Vorräten. Ich übernahm es, die Sattelgurte zu lockern und ihnen mit Grasbüscheln das verschwitzte Fell abzureiben. Für uns selbst gab es kaltes Wasser aus dem Bach und hartes Wegebrot. Chade schien ganz mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu sein, und ich respektierte sein Schweigen, bis ich schließlich meine Neugier nicht mehr beherrschen konnte.
    »Bist du wirklich der Narbenmann?«
    Chade schrak zusammen, dann starrte er mich an. Aus seinem Blick sprachen gleichzeitig Erstaunen und Traurigkeit. »Der Narbenmann? Der legendäre Bringer von Seuchen und Katastrophen? Aber Junge, du bist doch nicht dermaßen einfältig. Die Sage gibt es seit Jahrhunderten von Jahren. Du kannst doch nicht glauben, dass ich so uralt bin.«
    Ich zuckte die Schultern. Es lag mir auf der Zunge zu sagen: »Dein Gesicht ist voller Narben, und du bringst den Tod«, aber ich sprach es nicht aus. Chade kam mir zwar manchmal wirklich uralt vor, in anderen Malen aber wiederum so tatkräftig, dass man glauben mochte, einen sehr jungen Mann in einem alten Körper vor sich zu haben.
    »Nein, ich bin nicht der Narbenmann«, fuhr er halblaut fort, als spräche er zu sich selbst. »Doch nach dem heutigen Tag wird die Nachricht von seinem Auftauchen durch die Sechs Provinzen fliegen wie Blütenstaub im Wind. Es wird von Seuchen und Pestilenz die Rede sein und von einem göttlichen Strafgericht für nur eingebildete Sünden und Missetaten. Ich wünschte, ich wäre auf dieser Reise unentdeckt geblieben. Die Einwohner unseres Königreichs sind schon verschreckt genug. Andererseits
haben wir größere Sorgen als das Wiedererwachen eines alten Aberglaubens. Auch wenn mir rätselhaft ist, woher du das wissen konntest, aber du hattest Recht. Ich habe nachgedacht, gründlich nachgedacht, über alles, was in Ingot geschehen ist. Über die Worte der Dörfler, die uns steinigen wollten. Und darüber, wie sie alle aussahen. Ich bin früher einige Male in Ingot gewesen. Die Leute dort waren ein handfester Schlag, nicht von der Sorte, die sich ohne weiteres ins Bockshorn jagen lässt. Aber die, denen wir auf der Straße begegnet sind, die hatten die Angst im Nacken sitzen. Das waren Menschen, die mit Sack und Pack aus dem Ort flüchteten, der seit Generationen ihre Heimat gewesen ist. Und die Familienmitglieder zurückgelassen haben, die in den Ruinen herumwühlen wie streunende Hunde.
    Die Drohung der Roten Korsaren war kein leeres Gerede. Ich denke an diese Leute, und mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Irgendetwas liegt in der Luft, Junge, und ich ahne, dass uns Schlimmes bevorsteht. Was für ein Gedanke, dass die Roten Korsaren an unseren Küsten Menschen rauben, und wir haben nur die Wahl zu bezahlen, damit sie ihnen den Gnadentod geben und sie nicht hinterlassen wie die Unglückseligen aus Ingot. Und einmal mehr

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