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Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote

Titel: Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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hatte.
    Winterfest.
    Das Geheimnis des Herzens der Nacht.
    Ja.
    Vor Tagesanbruch schüttelte sie mich wach und schickte mich aus ihrem Zimmer. Der Abschiedskuss, den sie mir gab, bevor sie mich aus der Tür schob, war derart, dass ich im Flur stehenblieb und mir einzureden versuchte, dass diese Nacht noch längst nicht vorbei war. Doch ein paar Augenblicke später rief ich mir ins Gedächtnis, dass niemand von unserem Verhältnis wissen durfte, und wischte das tö richte Lächeln von mei nem Gesicht. Ich zog mein zerknittertes Hemd glatt und machte mich auf den Weg zur Treppe.
    In meinem Zimmer angelangt, überfiel mich eine fast betäubende Müdigkeit. Wie lange war es her, seit ich eine ganze Nacht hatte durchschlafen können? Ich setzte mich auf mein Bett, zog das Hemd aus, ließ es zu Boden fallen, sank ins Bett zurück und schloss die Augen.
    Ein leises Klopfen an der Tür ließ mich hoch fahren. Lächelnd
stand ich auf. Als ich die Tür weit öffnete, hatte ich das Lächeln immer noch auf dem Gesicht.
    »Gut, du bist wach! Und fast angezogen. So, wie du gestern Abend ausgesehen hast, fürchtete ich, dich am Kragen aus dem Bett zerren zu müssen.«
    Es war Burrich, frisch gewaschen und gebürstet. Die Querfalten auf seiner Stirn waren die einzigen Spuren der Ausschweifungen der letzten Nacht. Aus der langen Zeit, die ich mit ihm das Quartier geteilt hatte, wusste ich, dass ihn auch ein noch so gewaltiger Kater nicht davon abhielt, pünktlich aufzustehen und seine Arbeit zu tun. Ich seufzte. Zwecklos, hier um Gnade zu bit ten, denn von ihm war keine zu erwarten. Schicksalsergeben ging ich zu mei ner Kleidertruhe, nahm ein frisches Hemd heraus und zog es an, während ich ihm zu Veritas’ Turm folgte.
    Es existiert da eine physische und mentale Schwelle. Nur wenige Male in mei nem Leben war ich gezwungen, sie zu überschreiten, aber jedes Mal passierte etwas Außerordentliches. Jener Morgen war eine dieser Gelegenheiten. Es war vielleicht eine Stunde vergangen, als ich mit bloßem Oberkörper und schwitzend in Veritas’ Turmgemach stand. Der Winterwind blies durch das offene Fenster, doch ich fühlte keine Kälte. Die umwickelte Axt, die Burrich mir gegeben hatte, war nur wenig leichter als die Welt selbst, und das Gewicht von Ve ritas’ Gegenwart in mei nem Kopf schien mir das Gehirn aus den Augen zu pressen. Ich hatte keine Kraft mehr, um die Axt als Deckung hochzuhalten. Burrich griff erneut an, und ich begegnete ihm mit einer schwachen Parade, die er leicht überwand. Einen, zwei Schläge musste ich einstecken, nicht hart, aber trotzdem spürbar. »Und du bist tot«, sagte er, trat zurück, stützte sich auf seine Axt und schnaufte. Ich ließ meinen Axtkopf dumpf auf den Boden prallen. Es war sinnlos.
    Veritas in meinem Kopf verhielt sich sehr still. Ich schaute zu
ihm hin, wo er saß und durch das Fens ter übers Meer zum Ho rizont starrte. Die Morgenhelligkeit zeigte gnadenlos die Falten in seinem Gesicht und das Grau in seinem Haar, und seine in sich zusammengesunkene Haltung spiegelte genau wider, wie ich mich fühlte. Ich schloss mei ne Augen für ei nen Moment, zu müde, um mich zu rüh ren oder etwas zu sagen. Und plötz lich waren wir eins. Ich blickte zum Ho rizont unserer Zukunft. Wir wa ren ein Land, belagert von einem erbarmungslosen Feind, der nur über uns herfiel, um unser Volk zu verstümmeln und zu töten. Das war das einzige Bestreben der Roten Korsaren. Sie brauchten keine Felder zu be stellen, keine Familien zu beschützen, kein Vieh zu hüten - nichts lenk te sie von ih rer Zerstörungslust ab. Wir hingegen waren von den Anforderungen des täglichen Lebens in Anspruch genommen und mussten gleichzeitig Maßnahmen treffen, uns vor ihren Überfällen zu schützen. Für die Roten Korsaren waren ihre Raubzüge das tägliche Leben. Mehr als dieser Ziel strebigkeit bedurfte es nicht, um uns in die Knie zu zwingen. Wir waren keine Kämpfer, seit Generationen nicht mehr. Wir dachten nicht wie Kämpfer. Sogar jene von uns, die als Soldaten in der Armee dienten, denn sie waren ausgebildet, gegen einen berechenbaren Feind zu Felde zu ziehen. Wie sollten wir uns jedoch gegen eine Horde von Wahnsinnigen behaupten? Was stand uns an Waffen zur Verfügung? Ich schaute mich um und sah mich. Mich als Veritas.
    Ein Mann, aufgerieben zwischen der Verteidigung seines Volkes und dem Bemühen, nicht der süchtig machenden Ekstase der Gabe zu erliegen. Ein Mann, der versuchte, uns aus der Schrecklähmung zu

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