Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
hen, und ließ mich schwerfällig in die Polster sinken. »Ich habe mei ne Jugend damit verbracht, die Grenzen der Sechs Provinzen gegenüber jedem zu behaupten, der sie mir streitig machen wollte. Soll mein Leben jetzt zu wertvoll sein, um es aufs Spiel zu setzen, wo nurmehr so wenig davon übrig und dieses Wenige mir von Schmerzen vergällt ist? Nein. Mach dich auf der Stelle fort und bringe meinen Sohn zu mir. Er soll für mich weitsehen, da mei ne eigene Kraft für diese Nacht verbraucht ist. Ge meinsam werden wir be denken, was wir se hen, und entscheiden, was zu tun ist. Geh nun. GEH!«
Die Füße des Narren trippelten über den Stein fußboden, als er aus dem Zimmer lief.
Ich war allein mit mir selbst. Allein? Ich legte die Hände an die Schläfen und fühlte, wie ein schmerzliches Lächeln mein Gesicht verzog, als ich mich selbst entdeckte, den Gast. Sieh an, Junge. Da bist du ja. Mein König richtete seine Aufmerksamkeit auf mich. Er war müde, doch er spürte mit seiner Gabe nach mir und berührte sacht mein Bewusstsein. Ich kam ihm unbeholfen entgegen, um das Band zu knüpfen, doch es misslang. Unser Kontakt zerfaserte, franste aus wie alter Stoff. Dann war er fort.
Ich kauerte allein auf dem Boden meines Schlafgemachs im Bergreich, unmittelbar vor dem Ka minfeuer. Ich war fünfzehn, und mein Nachtgewand war aus schlichtem weißem Leinen. Das Feuer war heruntergebrannt. Die Wunden an meinen versengten Fingern pochten zornig. Zugleich pulsierten die Vorboten heftiger Kopfschmerzen, als Folge der Gabe, hinter meiner Stirn.
Ich erhob mich langsam und bedächtig. Wie ein alter Mann? Nein. Wie ein junger Mann, der noch nicht vollständig genesen war. Ich kannte jetzt den Unterschied.
Mein weiches, sauberes Bett lockte wie weiches, sauberes Morgenlicht.
Ich verzichtete auf beides. Ich setzte mich in den Sessel am Kamin und schaute sinnend in die Flammen.
Als Burrich im Morgengrauen kam, um mir Lebwohl zu sagen, war ich bereit, mit ihm zu reiten.
KAPITEL 2
DIE HEIMKEHR
B ocksburg erhebt sich über dem bes ten Tiefwasserhafen in den Sechs Provinzen. Im Norden ergießt sich der Bocksfluss ins Meer, Haupthandelsweg für den größten Teil der aus den Inlandprovinzen Tilth und Farrow ausgeführten Waren. Auf schwarzen Steilklippen befindet sich der Hochsitz, von dem aus die Burg der Könige der Sechs Provinzen auf die Flussmündung, den Hafen und die weite See hinunterschaut.
Die Hütten und Häuser von Burgstadt ziehen sich in sicherer Entfernung von der Überschwemmungsebene des großen Stroms an den Felsen entlang und waren um den Hafen herum zu einem großen Teil auf Stegen und Kais erbaut. Ursprünglich war die Festung eine Palisadenanlage gewesen, von den Einheimischen als Verteidigungsstellung gegen Raubzüge der Outislander errichtet. Einer dieser Piraten von den Fernen Inseln, namens Nehmer, eroberte die Burg und machte sich zum Herren der Gegend. Er errichtete anstelle der Palisaden und Holzbauten Mauern und Türme aus dem schwarzen Stein der Klippen und verankerte die Fundamente von Bocksburg tief im Fels. Mit den folgenden Generationen des Geschlechts der Weitseher wurden die Mauern weiter befestigt und die Türme immer höher und massiver gebaut. Seit Nehmer, dem Begründer des Geschlechts, ist Bocksburg nie wieder in Feindeshand gefallen.
Schnee berührte federleicht mein Gesicht, Wind blies mir das Haar aus der Stirn. Ich erwachte aus einem dunklen Traum in einer dunkleren, in einer winterlichen Waldlandschaft. Ich fror. Unter mir stapfte Rußflocke unbeirrt durch die Schneeverwehungen. Ein Gefühl sagte mir, dass wir schon lange unterwegs waren. Flink, der Stallbursche, ritt vor mir. Er drehte sich um und rief etwas.
Rußflocke blieb stehen, nicht ruckartig, aber ich rechnete nicht damit und wäre fast aus dem Sattel gerutscht. Ich hielt mich an ihrer Mähne fest. Die stetig fallenden Schneeflocken verhüllten den Wald um uns. Die Fichten waren dick verschneit, während die vereinzelten Birken wie nackte schwarze Gerippe im wol kentrüben Wintermondlicht standen. Es gab kei ne Spur von ei nem gebahnten Weg, und von allen Seiten drängte der Wald heran. Flink vor uns hatte seinen schwarzen Wallach gezügelt, weshalb Rußflocke stehengeblieben war. Hinter mir saß Burrich mit der Leichtigkeit des erfahrenen Reiters auf seinem Braunen.
Ich zitterte vor Kälte und Schwäche und fragte mich, was der Grund für den Halt sein mochte. Der bö ige Wind peitschte meinen feuchten Umhang gegen
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