Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Rußflockes Flanke. Flink wies mit der ausgestreckten Hand nach vorn. »Dort!« Wieder schaute er zu mir zurück. »Hast du gesehen?«
Ich beugte mich vor und versuchte durch das Schneetreiben etwas zu erkennen. »Ich glaube.« Einen Augenblick lang hatte ich in der Ferne winzige Lichtpunkte erspäht, gelb und still, anders als die blassen Irrlichter, die mir gelegentlich immer noch vor den Augen tanzten.
»Meinst du, das ist Bocksburg?« Der Wind riss Flink die Worte vom Mund.
»Es ist Bocksburg«, bestätigte Burrich. Seine tiefe Stimme trug mühelos bis zu uns hin. »Ich weiß jetzt, wo wir sind. Dies ist die Stelle, wo Prinz Veritas vor sechs Jahren die große Ricke erlegt
hat. Die Sache ist mir im Gedächtnis geblieben, weil sie mitten im Sprung von sei nem Pfeil ge troffen wurde und in die klei ne Schlucht fiel. Wir hatten den Rest des Tages damit zu tun, dort hinunterzuklettern, sie auszunehmen und anschließend das Fleisch nach oben zu schaffen.« Die Schlucht, auf die er zeigte, verriet sich hinter dem Schneevorhang nur durch einen langen Streifen Buschwerk, doch plötz lich erkannte auch ich alles wieder. Die Linie dieser Hügelkuppe, der Baumbestand, dort die Schlucht. Bocksburg lag demnach in dieser Richtung, nur noch wenige Meilen, bis wir deutlich die Festung auf den Klippen über der Bucht und Burgstadt erkennen konnten. Zum ersten Mal seit Tagen wusste ich mit absoluter Sicherheit, wo wir uns befanden. Wegen der dichten Wolkendecke waren keine Sterne zu se hen gewesen, was uns die Orientierung erschwerte, und die ungewöhnlich hohe Schneedecke hatte das Aussehen der Landschaft verändert, bis selbst Burrich unsicher zu werden schien. Doch jetzt wusste ich, dass uns nur noch ein kurzer Ritt von zu Hause trennte. Im Sommer wäre es so gewesen. Doch jetzt musste ich mich für dieses letzte Wegstück gehörig zusammenraufen.
»Nur ein Katzensprung«, sagte ich zu Burrich.
Flink hatte sein Pferd be reits wieder angetrieben. Der kräftige kleine Wallach arbeitete sich tap fer voran und bahnte schräg abwärts, quer zum Hang, die Spur durch den harschen Schnee. Rußflocke folgte ihm, doch schon nach den ersten Schritten rutschte ich im Sattel zur anderen Seite und suchte vergeblich irgendwo nach Halt. Bur rich trieb sein Pferd he ran, packte mich am Kragen und setzte mich wieder aufrecht hin. »Nur ein Katzensprung«, ermutigte er mich mit meinen eigenen Worten. »Du wirst es schaffen.«
Ich brachte ein Nicken zustande. Heute hatte er mir seit Einbruch der Dämmerung erst zum zweiten Mal zur Seite springen
müssen. Es war ei ner meiner besseren Abende. Ich richtete mich auf und straffte energisch die Schultern. Nur ein Katzensprung.
Die Reise war lang und kräftezehrend gewesen, das Wetter schlecht, und die dauernde Anstrengung hatte nicht dazu beigetragen, meine Genesung zu beschleunigen. Vieles erschien mir rückblickend wie ein böser Traum; quä lend lange Tage im Sattel, während ich kaum etwas von unserem Weg mitbekam; Nächte zwischen Flink und Burrich in unserem kleinen Zelt, zu erschöpft, um Schlaf zu finden. Je nä her wir den hei matlichen Gefilden kamen, desto leichter, hatte ich gedacht, würde unsere Reise werden. Aber ich hatte nicht mit Burrichs Vorsichtsmaßnahmen gerechnet.
In Turlake waren wir zur Nacht in einer Herberge eingekehrt. Ich nahm an, wir würden am nächsten Tag an Bord eines Flussboots gehen, denn auch wenn Eis die Ufer des Bocks flusses säumte, hielt die starke Strömung dort das ganze Jahr über eine Fahrrinne offen. Da ich sehr müde war, ging ich so fort auf unser Zimmer, Burrich und Flink hingegen freuten sich beide auf eine warme Mahlzeit und Gesellschaft, ganz zu schweigen von einigen Humpen Ale. Ich hatte nicht erwartet, sie so bald wiederzusehen, doch kaum zwei Stunden waren vergangen, als sie aus der Gaststube heraufkamen, um sich schlafen zu legen.
Burrich hüllte sich in grim miges Schweigen, doch nachdem er sich zur Seite gedreht hatte, wandte sich Flink von sei nem Bett zu mir her und erzählte mit gedämpfter Stimme, wie schlecht man in dieser Stadt von unserem König sprach.
»Hätten sie gewusst, dass wir von Bocksburg sind, dann hätten sie, glaube ich, nicht so offen geredet. Doch wegen unserer fremdländischen Kleidung hielten sie uns für Händler oder Kaufleute. Mehrmals hatte ich Angst, Burrich würde sich mit ihnen anlegen. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wie er es fertigbrachte, sich zu beherrschen.
Alle beschweren sich über die Steuern
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