Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
mich in den tobenden Sturm hinauszulehnen. Doch selbst das Wetter ließ mich im Stich. Der bedeckte Himmel war aufgerissen und verregnetes Sonnenlicht strömte hervor. Schwarze Wolkenmassen, die sich weiter draußen auftürmten, ließen ahnen, dass diese Wetterlage nicht von langer Dauer sein würde, doch zumindest für einen Moment hatte es dann aufgehört zu regnen, und der Wind hatte sich gelegt. Sogar ein Hauch von Wärme lag in der Luft.
Sofort wanderten meine Gedanken zu Nachtauge.
Es ist zu nass, um zu jagen. Außerdem ist es taghell. Nur Menschen sind dumm genug, am hellen Tag auf Jagd zu gehen.
Fauler Hund!, rügte ich ihn. Ich wusste, er lag zusammengerollt, satt und zufrieden in seiner Mulde.
Heute Nacht vielleicht, vertröstete er mich und schlief wieder ein.
Ich überließ ihn sei nen Träumen und griff entschlossen nach meinem Umhang. In meiner augenblicklichen Gemütsverfassung erschien es mir unerträglich, einen Tag eingesperrt hinter Mauern zu verbringen. Ich verließ die Burg und ging nach Burgstadt hinunter. Ich war über Listenreichs Versuche, mich zu verkuppeln, genauso verbittert wie ich über mei ne Schwäche bestürzt war. Ich schritt weit aus, ein Versuch, der Erinnerung an den kranken König, seinen zitternden Händen und seinem Drogenschlaf zu entfliehen. Verfluchter Wallace! Er hatte mir mei nen König gestohlen. Und der König mir mein Leben. Ich verbat mir, weiter darüber nachzudenken.
Regentropfen und gelb geränderte Herbstblätter fielen von den Bäumen auf mich he runter. Die Sonne gewann an Kraft, überzog die nasse Welt mit Glanz und lockte satten Erdgeruch aus dem Boden. Die Vögel dankten mit lautem, frohem Gesang für dieses unerwartete Augenzwinkern des Himmels. Trotz meiner chaotischen Gefühlslage berührte mich die Schönheit des Tages.
Die Regengüsse hatten Burgstadt buchstäblich sauber gewaschen. Ich geriet auf den Marktplatz und in die Strömungen einer geschäftigen Menschenmenge. Jedermann beeilte sich, seine Einkäufe zu machen und nach Hause zu tragen, bevor die Schonfrist vorüber war und das Wetter wieder sein ungnädiges Antlitz zeigte. Die fröhliche Betriebsamkeit und das heitere Stimmengewirr passten nicht zu meiner schlechten Laune, und ich hielt verdrossen Umschau, bis mir ein leuchtend roter Kapuzenumhang ins Auge fiel. Mein Herz tat einen Sprung. Mochte sie sich für
den Dienst in der Burg im Blau des Gesindes kleiden; wenn sie zum Markt ging, dann trug Molly immer noch ihren alten roten Umhang. Wahrscheinlich hatte Philia ihr aufgetragen, die Wetterbesserung auszunutzen und eine Besorgung zu machen. Von dort, wo ich stand, konnte ich beobachten, wie sie be harrlich um ei nige Päckchen Früchtetee aus den Chalced-Staaten feilschte. Ich liebte ihr entschlossen vorgerecktes Kinn, als sie über ein Angebot des Händlers den Kopf schüttelte. Plötzlich kam mir ein Ein fall, und ich fühlte mich von frischer Tatkraft erfüllt.
Ich hatte mit mei ner Schiffsheuer Geld in der Tasche, und das reichte für weit mehr als für vier süße Äp fel, zwei Rosinenbrötchen, eine Fla sche Wein und etwas Pfefferfleisch. Dazu erstand ich einen Netzbeutel, um meine Schätze wegzutragen, sowie eine dicke Wolldecke - die in Rot war. Ich musste sämtliche Tricks anwenden, die ich von Chade gelernt hatte, um meine Ein käufe zu erledigen, dabei gleichzeitig Molly nicht aus den Augen zu verlieren und das alles so, dass sie mich nicht be merkte. Noch kniffliger war es, ihr auf den Fersen zu bleiben, als sie zur Putzmacherin ging, um Seidenband zu kau fen, und anschließend genügend Deckung zu finden, als sie den Weg zur Burg einschlug.
An einer bestimmten Biegung, im Schutz einer Baumgruppe, holte ich sie ein. Sie stieß einen leisen Schrei aus, als ich unvermutet hinter ihr auftauchte, sie umfasste und herumschwang. Ich stellte sie auf die Füße und gab ihr einen langen Kuss. Weshalb es so anders war, sie im Freien und im hellen Sonnenlicht zu küssen, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass plötz lich alle Schwermut von mir abfiel.
Ich machte eine tiefe Verbeugung. »Geruht meine Herrin, mir bei einer kleinen Vesper Gesellschaft zu leisten?«
»Oh, das können wir nicht tun«, wehrte sie ab, doch ihre Augen glänzten. »Man würde uns sehen.«
Ich schaute mich übertrieben suchend nach allen Seiten um, dann umfasste ich ihren Arm und zog sie von der Straße weg. Wir eilten zwischen den regennassen, tropfenden Bäumen hindurch; vom Sturm herabgewehte Zweige
Weitere Kostenlose Bücher