Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Nun, alle Männer sind einmal jung. Ebenso alle Kammerzofen.« Er nahm den Kelch und trank. Ich stand vor ihm, biss mir auf die In nenseite der Wange und hoffte, dass in meinen Augen nichts von meinen Gedanken zu lesen war. Ein verräterisches Zittern ergriff meine Hände, das sich zum Glück nicht mehr über meinen ganzen Körper ausbreitete. Gerne hätte ich die Arme vor der Brust verschränkt, doch ich unterließ es und konzentrierte mich darauf, nicht die kleine Schriftrolle zu zerdrücken, die ich in der Faust hielt.
König Listenreich stellte den Kelch auf den Tisch neben seinem Sessel und stieß ei nen tiefen Seufzer aus. Er ließ den Kopf ge gen das Polster der Rückenlehne sinken, die Hände lagen gelöst und schlaff in seinem Schoß. »FitzChivalric«, setzte er erneut an.
Schweigend stand ich vor ihm und wartete auf sei ne Worte. Doch dann musste ich zusehen, wie seine Lider zuerst schwer wurden und dann langsam herabsanken. Doch dann raffte er sich noch einmal auf, während sein Kopf leicht hin und her rollte, und nahm schwerfällig seinen letzten Gedanken wieder auf: »Du hast Constances Mund, wenn sie zornig war«, murmelte er. Sei ne Augen schlossen sich. »Ich will nur das Beste für dich …« Das letzte Wort war kaum noch zu verstehen, und gleich darauf drangen leise
Schnarchgeräusche aus sei nem halb offenen Mund. Im mer noch stand ich vor ihm und schaute ihn an. Meinen König.
Als ich mich schließ lich abwenden wollte, erfasste mich noch größere Verwirrung. Der Narr hockte wie ein Häufchen Elend zu Listenreichs Füßen, die Knie bis an die Brust gezogen. Er starrte mich zornig an, sein Mund war wie ein gerader Strich. Tränen standen in seinen hellen Augen.
Ich floh.
In meinem Zimmer ging ich vor dem Kamin auf und ab, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte, dann setzte ich mich und nahm Papier und Feder heraus. Ich verfasste einen kurzen, förmlichen Dankesbrief an Herzog Brawndys Tochter und versiegelte ihn mit Wachs. Danach stand ich auf, zog mein Hemd glatt, strich mir das Haar zurück und warf die Rolle ins Feuer.
Daraufhin unternahm ich ei nen zweiten Anlauf. Ich schrieb einen Brief an Zelerita, das schüchterne Mädchen, das mir bei Tisch schöne Augen gemacht und mit mir im kalten Wind auf den Klippen gestanden hatte, als ich mich der Herausforderung zum Duell stellen wollte, das so nie statt fand. Ich dankte ihr für das Dokument. Und berichtete ihr von meinem Sommer. Dass ich tagein, tagaus auf der Rurisk am Ruder saß. Von meiner Ungeschicklichkeit mit dem Schwert, die mich zwang, die plumpe Axt als Waffe zu füh ren. Ich erzählte ihr in allen blutigen Einzelheiten von meiner ersten Schlacht und wie elend ich mich danach gefühlt hatte. Ich erzählte ihr, wie ich gelähmt vor Angst auf der Ruderbank sitzengeblieben war, während ein Rotes Schiff uns angriff. (Das weiße Schiff, das ich gesehen hatte, ließ ich unerwähnt.) Ich schloss mit dem Geständnis, dass ich immer noch gelegentlich von krampfartigem Zittern heimgesucht wurde, eine Folge meines langen Krankenlagers in den Bergen. Nachdem ich den Brief unterzeichnet hatte, überlas ich das Geschriebene noch einmal. Sie
musste den Eindruck gewinnen, ich wäre ein gewöhnlicher Seemann, ein Dummkopf und Feigling, der ständig krank war. Zufrieden rollte ich den Brief zusammen und umwickelte ihn mit demselben gelben Band, das sie be nutzt hatte. Auf Siegelwachs verzichtete ich, denn mir war gleichgültig, wer den Brief las. Es erschien mir umso besser, wenn erst Herzog Brawndy diesen Brief an seine Tochter öff nete und ihr in der Folge davon verbat, je mals wieder meinen Namen zu erwähnen.
Als ich erneut an König Listenreichs Tür klopfte, öffnete mir Wallace, auf dessen Gesicht sich wie immer deut lich abzeichnete, was er von meinen Besuchen hielt. Er nahm die Schrift rolle, als wäre sie mit etwas Unaussprechlichem beschmutzt, und schlug mir nachdrücklich die Tür vor der Nase zu. Auf dem Weg zu rück in mein Zimmer malte ich mir aus, welche drei Gifte ich ihm verabreichen würde, wenn sich mir die Ge legenheit dazu bieten sollte. Das war weit weniger anstrengend, als mir Gedanken über meinen König zu machen.
Wieder in meinem Zimmer angelangt, warf ich mich gleich aufs Bett. Wäre es doch Nacht, und ich könnte zu Molly gehen. Dann dachte ich an meine vielfältigen Geheimnisse, wodurch mir selbst diese Vorfreude verdorben wurde.
Mit einem Satz sprang ich vom Bett, um die Fensterläden weit aufzustoßen und
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