Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
seine Angreifer nicht töten, denn mein König hatte es nicht erlaubt.
Zwölf Tage später traf Herzog Brawndy von Bearns ein. Er kam die Küstenstraße entlang, an der Spitze eines Gefolges, das groß genug war, um zu beeindrucken, ohne bedrohlich zu wirken. Er hatte alles an Pomp und Prunk aufgeboten, was sein Herzogtum sich leisten konnte. Seine Töchter ritten neben ihm einher, bis auf die Älteste, die zu Hause geblieben war, um für Holüber zu tun, was getan werden konnte. Ich verbrachte den frühen Nachmittag in den Ställen und anschließend in der Wachstube und lauschte den Gesprächen der Knechte und Kriegsmannen aus Bearns.
Flink bewährte sich wieder einmal als stellvertretender Stallmeister von Bocksburg, indem er dafür sorgte, dass ihre Tiere gut untergebracht und gefüttert wurden, und wie immer luden unsere Küchen und Barracken zur Gastfreundschaft ein. Trotz allem mussten wir uns von unseren Gästen allerlei harte Worte gefallen lassen. Sie erzählten mit schonungsloser Offenheit, wie es in Holüber aussah und wie ihre Bitten um Hilfen ungehört geblieben wären. Es kam unsere Soldaten hart an, dass sie kaum etwas vorbringen konnten, um König Listenreichs scheinbare Untätigkeit zu rechtfertigen, und wenn ein Soldat nicht rechtfertigen kann, was sein Befehlshaber getan hat, muss er entweder die Kritik hinnehmen oder eine andere Möglichkeit finden, sich Luft zu machen. Folglich gab es Prügeleien zwischen Männern aus Bearns und Männern aus Bocksburg. Sie waren zwar nur vereinzelt und die Anlässe trivial, aber solche Verstöße gegen die Disziplin kamen bei uns gewöhnlich nicht vor. Deshalb wirkten die Vorfälle beunruhigend. Mir schienen sie die Verunsicherung unserer eigenen Truppe deutlich zu machen.
Ich kleidete mich für das abendliche Festmahl mit großer Sorgfalt an und fragte mich, wem ich dort begegnen würde und was man von mir erwartete. Zweimal hatte ich Zelerita erspäht und war verschwunden, bevor mich irgendjemand bemerkte. Ich rechnete damit, dass sie beim Essen neben mir sitzen würde, und die Aussicht darauf freute mich recht wenig. Nach Lage der Dinge konnten wir es uns nicht erlauben, Bearns zu brüskieren, aber ich hatte nicht den Wunsch, das Mädchen noch weiter zu ermutigen. Wie sich herausstellte, hätte ich mir keine Gedanken deswegen zu machen brauchen. Mir wurde ein Platz weit unten an der Tafel angewiesen - zwischen den überzähligen Sprösslingen des niederen Adels. Ich verbrachte unter ihnen einen unangenehmen Abend und galt wohl nur als mittelmäßig interessante Attraktion. Etliche der heiratsfähigen
Töchter versuchten mir zwar schöne Augen zu machen, was eine neue Erfahrung für mich war, aber ich fand keinen Gefallen daran. Mir kam dadurch zu Bewusstsein, wie viel fremdes Volk sich in diesem Winter in Bocksburg eingenistet hatte. Die meisten kamen aus den Inlandprovinzen und hofften auf Brosamen von Edels Tisch, wobei meine Bewunderinnen keinerlei Hehl daraus machten, dass sie bereit waren, sich Einfluss zu erschmeicheln, wann immer es möglich schien. Aufgrund der Anstrengung, die es erforderte, ihrem koketten Geplauder zu folgen und ihnen wenigstens mit moderater Höflichkeit zu antworten, war es mir unmöglich, darauf zu achten, was am Hohen Tisch vor sich ging. König Listenreich saß dort zwischen Königin Kettricken und Prinz Edel, Herzog Brawndy mit seinen Töchtern Zelerita und Fidea hatten die Ehrenplätze eingenommen. Dazu gesellten sich Edels Anhänger, von denen Herzog Ram und seine Gemahlin Plazida nebst ihren beiden Söhnen die vornehmsten waren. Auch Edels Vetter, Lord Vigilant, war anwesend; der junge Erbe des Herzogs von Farrow weilte zum ersten Mal am Königshof.
Von meinem Platz aus konnte ich nur we nig sehen und erst recht nicht verstehen, was gesprochen wurde. Ich fühlte Veritas’ schwelende Unzufriedenheit mit dieser Situation, doch ich konnte nichts da ran ändern. Der König sah müde aus, schien aber sonst ganz er selbst zu sein. Kettricken neben ihm war beinahe durchscheinend blass, nur auf ih ren Wangen brannten zwei rote Fle cken. Sie aß wenig und wirkte sehr ernst. Prinz Edel hingegen gab sich umgänglich und liebenswürdig, besonders Herzog Ram und seiner Familie gegenüber. Man konnte nicht sagen, dass er Brawndy und seine Töchter ignorierte, aber seine Heiterkeit lief der Stimmung der Gäste aus Bearns sichtlich zuwider.
Herzog Brawndy war ein großer Mann und trotz sei nes Alters immer noch muskulös. Weiße
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