Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
zuckte leicht zusammen, als ich die Salbe auftrug. Sie brannte, aber sie half.
»Weshalb stellst du mir eine derartige Frage?«
Er überlegte. »Weil es leichter ist, dich zu fragen, als von Kettricken wissen zu wollen, ob sie Veritas’ Kind unter dem Herzen trägt. Soweit ich es beurteilen kann, hat Edel in letzter Zeit
nur sich selbst die Ehre gegeben, deshalb kommt er nicht in Frage. Bleiben nur du oder Veritas - einer von euch muss der Vater sein.«
Ich starrte ihn an, und er schüttelte voller Trauer über meine Begriffsstutzigkeit den Kopf. »Spürst du es nicht?«, fragte er raunend. Sein dra matischer Blick verlor sich in unbestimmter Ferne. »Kräfte geraten in Bewegung, Schatten wandern. Plötzlich ein Wellenschlag im Ozean der Möglichkeiten und Schicksalslinien, die sich ver fielfältigen.« Er schaute mich an. Ich lächelte, weil ich glaubte, er triebe seine gewohnten Späße, doch sein ganzer Gesichtsausdruck blieb ernst. »Dem Geschlecht der Weitseher wird ein Erbe geboren«, sagte er fest. »Ich weiß es genau.«
Es ist so, wie wenn man im Dun keln eine Stu fe verfehlt: das plötzliche Gefühl, am Rand eines Abgrunds zu stehen und nicht zu wissen, wie tief der Sturz sein mag. Ich sagte viel zu schnell und viel zu bestimmt: »Ich habe kein Kind gezeugt.«
Der Narr beäugte mich skeptisch. »Aha«, meinte er mit aufgesetzter Munterkeit. »Natürlich nicht. Dann muss es Kettricken sein, die empfangen hat.«
»Das denke ich auch«, stimm te ich zu, aber eine kalte Hand griff nach meinem Herzen. Wenn Kettricken schwanger war, hatte sie keinen Grund, es zu verheimlichen. Molly hingegen durchaus. Und ich war seit mehreren Nächten nicht bei ihr gewesen. Vielleicht hatte sie Neuigkeiten für mich. Mir wurde plötzlich schwindelig, und ich musste mich zwingen, tief einzuatmen. »Zieh dein Hemd aus«, forderte ich den Narren auf. »Se hen wir uns deine Brust an.«
»Ich habe sie gesehen, danke sehr, und ich kann dir versichern, alles ist in bester Ordnung. Der Sack über mei nem Kopf diente ihnen wahrscheinlich als Anhaltspunkt, wohin sie schlagen sollten, und sie haben sich peinlich genau daran gehalten.«
Die Brutalität des Vorgehens be reitete mir Übelkeit. »Wer?«, fragte ich heiser.
»Mit ei nem Sack über dem Kopf? Ich bitte dich! Kannst du durch einen Sack hindurchsehen?«
»Nein. Aber du musst doch Vermutungen haben.«
Er legte ungläubig den Kopf schräg. »Wenn du nicht weißt, was das für Vermutungen sind, dann bist du derjenige mit dem Sack über dem Kopf. Ich will dir ein mal ein Guckloch hineinbohren. ›Wir wissen, dass du ein Ver räter bist, ein Spion von Ve ritas, dem falschen Thronerben. Sende ihm kei ne Botschaften mehr, denn wenn du es tust, werden wir es erfahren.‹« Er wandte sich halb ab, um ins Feuer zu sehen, und schlug mit den Hacken einen kurzen Trommelwirbel gegen die Vorderwand der Truhe.
»Veritas, dem falschen Thronerben?«, fragte ich fassungslos.
»Nicht meine Worte. Ihre.«
Ich bezwang meinen Zorn und versuchte zu überlegen. »Weshalb sollten sie dich verdächtigen, für Veritas zu spionieren? Hast du ihm Botschaften geschickt?«
»Ich habe einen König«, antwortete er leise, »auch wenn er sich nicht im mer daran erinnert, dass er König ist. Du musst an das Wohl deines Königs denken, und ich bin überzeugt, du tust es.«
»Was wirst du tun?«
»Was ich immer getan habe. Was bleibt mir anderes übrig? Ich kann nicht mit etwas aufhören, womit ich nie angefangen habe.«
Eine beklemmende Gewissheit kroch in mir empor. »Und wenn sie wiederkommen?«
Er schenkte mir ein see lenloses Lachen. »Wes halb soll ich mir darüber Sorgen machen, ich kann es nicht verhindern. Allerdings hält meine Vorfreude sich in Grenzen. Das hier«, er deutete mit einer vagen Handbewegung auf sein Gesicht, »das wird heilen. Was sie mit meinem Zimmer angestellt haben, dagegen nicht. Ich werde
Wochen damit beschäftigt sein, die Scherben zusammenzuklauben.«
Wie er es sagte, klang es nach ei ner Bagatelle. Ein scheußliches, hohles Gefühl ergriff von mir Besitz. Einmal war ich ohne sein Wissen in das Turmgemach des Narren eingedrungen. Es war ein langer Aufstieg zu einer vergessenen Treppe hinauf, vorbei an dem Staub und Unrat von Jahren, zu einer Kammer, aus deren Fenstern man über die Zinnen hinwegschaute und die ein wundersames Idyll beherbergte. Ich dachte an die bunten Fische in den bauchigen Töpfen, die Moosgärten in ihren Behältern, die winzige Kinderpuppe aus
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