Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
niemals zu nahe, aber die Reihe der leeren Schnapsflaschen musste Molly an ihren Vater erinnern. Trotzdem, mir lag daran, dass sie sich gegenseitig besser kennenlernten. Eines Tages erzählte ich Burrich, Molly wäre meinetwegen bedroht worden.
»Deinetwegen?«, fragte er scharf.
»Es hat sich nicht geheim halten lassen, dass sie mir etwas bedeutet«, versuchte ich ihm behutsam zu erklären.
»Ein Mann hält seine Schwierigkeiten fern von der Frau, die er liebt«, belehrte er mich streng.
Darauf wusste ich nichts zu antworten. Ich erzählte ihm das wenige, an das Molly sich hatte erinnern können, aber auch er wusste damit nichts anzufangen. Eine Zeitlang hatte er ins Leere gestarrt, dann sein Glas gehoben und ausgetrunken. Er sprach bedächtig.
»Ich werde ihr sagen, dass du dir Sorgen um sie machst. Ich werde ihr sagen, wenn sie sich bedroht fühlt, muss sie zu mir kommen. Ich bin in einer besseren Position, um damit fertigzuwerden.« Er schaute mich an. »Ich werde ihr sagen, dass es klug von dir ist, dich von ihr um ihretwillen fernzuhalten.« Während er sich abwandte, um sein Glas erneut zu füllen, fügte er scheinbar beiläufig hinzu: »Philia hatte Recht. Und sie tat gut daran, sie zu mir zu schicken.«
Ich wurde blass, als mir die volle Bedeutung der Worte aufging. Ausnahmsweise war ich schlau ge nug zu wissen, wann es besser war, den Mund zu halten. Er trank aus, dann schaute er auf die Flasche. Er schob sie langsam über die Tischplatte zu mir hin. »Bist du so gut und stellst sie für mich aufs Regal zurück?«, fragte er.
Auch weiterhin wurden Tiere und Wintervorräte aus Bocksburg weggeschafft. Manches wurde um billiges Geld an die In landprovinzen verschleudert. Die allerbesten Jagd- und Reitpferde wurden den Bocksfluss hinauf in der Nähe von Turlake verschifft. Edel behauptete, es läge ihm am Herzen, unser wertvollstes Zuchtmaterial vor dem Zugriff der Piraten in Sicherheit zu bringen. In Burgstadt jedoch wurde gemunkelt, erzählte mir Flink, wenn der König nicht imstande wäre, sei ne eigene Burg zu halten, welche Hoffnung gäbe es dann für sie? Als eine Schiffsladung kostbarer alter Tapisserien und Möbel ebenfalls den Fluss hi naufging, hieß es, bald würden die Weitseher ohne Not Bocksburg ganz verlassen, ohne auch nur einen Angriff abgewartet zu haben. Ich hatte den unbehaglichen Verdacht, dass es sich genauso verhielt.
Da ich die Burg nicht verlassen durfte, erfuhr ich nur we nig von dem, was die einfachen Leute redeten. Wenn ich die Wachstube betrat, wurde ich nur mit Schweigen begrüßt. Mein ›Hausarrest‹ hatte Klatsch und Spekulationen ausgelöst. Der Vorfall mit
dem kleinen Mädchen, das ich nicht vor den Ent fremdeten hatte retten können, wurde aus der Erinnerung hervorgekramt und ausgeschmückt. Nur wenige der Soldaten redeten mit mir über anderes als über das Wetter oder dergleichen Belanglosigkeiten. Zwar machten sie mich nicht ganz zum Ausgestoßenen, aber ich war nicht länger Teil der un gezwungenen Gespräche und hitzigen Wortwechsel, die gewöhnlich die Wachstube erfüllten. Mit mir zu sprechen, das konnte unerquickliche Folgen haben, und ich wollte nicht Männer und Frauen ins Unglück reißen, die ich ein mal als meine Freunde betrachtet hatte.
In den Stallungen war ich nach wie vor willkommen, aber auch dort achtete ich darauf, nicht zu lange oder zu oft mit einer bestimmten Person zu reden und den Anschein zu erwecken, dass ich eins der Tiere bevorzugte. Die Stallhelfer waren in diesen Tagen ein mürrischer Haufen. Es gab nicht genug Arbeit, um sie ausreichend zu beschäftigen, also kam es häu fig zu Streit und Rau fereien. Die Pferdeknechte waren meine hauptsächliche Quelle für Neuigkeiten und Ge rüchte. Erfreuliches wussten sie nicht zu berichten. Vage Gräuelgeschichten von Überfällen auf Siedlungen in Bearns, Ge rede über Rau fereien in den Wirts häusern und im Hafen von Burgstadt und Berichte über Familien, die nach Süden oder landeinwärts abwanderten, falls ihre Mit tel es ih nen erlaubten. Wenn von Ve ritas und sei ner Expedition die Rede war, äußerte man sich über beides nur mit Hohn und Spott. Man hatte aufgehört zu hoffen. Wie ich warteten die Einwohner von Burgstadt mit grimmiger Schicksalsergebenheit darauf, dass das Verhängnis über sie hereinbrach.
Ein Monat mit stürmischem Wetter sorgte dann für etwas gehobenere Stimmung, aber das Aufatmen und die übermütige Freude in Burgstadt hatten verheerendere Auswirkungen als die
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