Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
und verrammelt, als ich einen Luftzug im Nacken spürte. Ich drehte mich um und sah die Tür zu Chades Domizil offen stehen. Die Treppe kam mir diesmal besonders lang und steil vor. Ich sehnte mich nach Schlaf, aber ich wusste, wenn ich mich hin legte, geschah nichts weiter, als dass ich mich von einer Seite auf die andere wälzte.
Essensgeruch stieg mir verlockend in die Nase, als ich das Gemach betrat. Chade hatte bereits an dem gedeckten Tisch Platz genommen. »Setz dich und iss«, forderte er mich ungeduldig auf. »Wir müssen uns beraten.«
Er ließ mir gerade Zeit, zweimal von einer Fleischpastete abzubeißen, bevor er mich leise fragte: »Wie lange glaubst du, könnten wir König Listenreich in diesen Räumen unentdeckt verborgen halten?«
Ich kaute und schluckte. »Mir ist es bis jetzt noch nie ge lungen, einen Weg in dieses Zimmer zu finden.«
»Oh, aber es gibt sie. Und weil Le bensmittel und andere notwendige Dinge gebracht und geholt werden müssen, gibt es einige we nige, die sie kennen, ohne allerdings genau zu wissen, was sie wissen. Mein klei ner Kaninchenbau hier ist mit Räu men in der Burg verbunden, die regelmäßig mit Vorräten versehen werden, doch mein Leben war natürlich erheblich einfacher, als man noch glaubte, Lady Quendel sei die Empfängerin all der guten Gaben.«
»Wie wird es dir ergehen, wenn Edel nach Burg Fierant gegangen ist?«
»Bleibt abzuwarten. Manches läuft in eingefahrenen Bahnen weiter wie bisher, das heißt, insofern die Leute, die mit den betreffenden Pflichten betraut waren, hierbleiben. Doch sobald die Nahrungsmittel knapp werden, wird man sich fragen, weshalb Vorräte
in einem leerstehenden Teil der Burg lagern. Aber wir sprachen von Listenreichs Wohlergehen, nicht von meinem.«
»Es hängt davon ab, auf wel che Weise der König verschwindet. Falls es den Anschein hat, dass er auf normalem Weg ge flohen ist, wäre er hier eine Zeit lang sicher. Doch wenn Edel weiß, dass er sich noch in der Burg befindet, wird er vor nichts zu rückschrecken, um ihn zu finden. Ich könnte mir denken, dass einer seiner ersten Befehle wäre, mit Häm mern die Wände im Schlafgemach des Königs einzureißen.«
»Plump, aber wirkungsvoll«, nickte Chade.
»Hast du in Bearns oder Rippon einen Zufluchtsort für ihn gefunden?«
»So kurzfristig? Selbstverständlich nicht. Wir müssten ihn hier verstecken, für einige Tage oder vielleicht sogar Wochen, bevor für ihn ein Platz hergerichtet wäre. Und dann müss te man ihn noch aus der Burg schmuggeln. Dazu ist es nötig, die Torwachen zu bestechen. Leider haben jedoch Menschen, die sich bestechen lassen, die unglückselige Neigung, für genügend Geld später darüber zu reden. Es sei denn, sie hätten diesen oder jenen Unfall.« Er schaute mich an.
»Darum mach dir keine Sorgen, es gibt noch andere Möglichkeiten, aus Bocksburg hinauszukommen.« Ich dachte an Nachtauges Weg. »Wir haben ein viel größeres Problem, und das ist Kettricken. Sie wird auf eigene Faust etwas unternehmen, wenn wir sie nicht bald in unser Vorhaben einweihen. Heute Abend hat sie vorgeschlagen, zusammen mit dem König die Flucht ins Bergreich zu wagen.«
»Eine schwangere Frau und ein kran ker alter Mann, mitten im Winter? Lächerlich.« Chade überlegte. »Andererseits - damit würde kein Mensch rechnen. In der Richtung wird man kaum nach ihnen suchen. Und bei der Völ kerwanderung den Bocks fluss
hinauf, die Edel ausgelöst hat, fallen eine junge Frau und ihr siecher Vater nicht weiter auf.«
»Es ist trotzdem lächerlich«, protestierte ich. Das Fun keln in Chades Augen wollte mir nicht gefallen. »Wer soll sie begleiten?«
»Burrich. Das hält ihn davon ab, sich aus Langeweile zu Tode zu trinken. Er könnte ihre Tiere versorgen und sich auch sonst um sie kümmern. Wäre er bereit dazu?«
»Was fragst du! Aber Listenreich würde die Anstrengung nicht überleben.«
»Der Tod auf ei ner solchen Reise ist ihm we niger sicher als unter Edels Obhut. Das, was ihn von innen her auffrisst, wird ihn letztendlich besiegen, wo im mer er sich auch be findet.« Er runzelte die Stirn. »Aber wes halb die Krank heit in den letzten Tagen diesen bedenklich raschen Verlauf nimmt, ist mir ein Rätsel.«
»Die Kälte. Die Entbehrungen. Es wird ihm nicht guttun.«
»Auf ei nem Teil des Weges gibt es Wirtshäuser. Etwas Geld kann ich ihnen mitgeben. Listenreich hat nur noch so we nig Ähnlichkeit mit dem Mann, der er gewesen ist, dass wir keine Angst haben müssen,
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