Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Wir warteten.
Im Stehen warten zu müssen, in einem hell erleuchteten Raum und in einer Atmosphäre der Feindseligkeit, das alles sind nicht zu unterschätzende Methoden, den De linquenten auf die anschließende hochnotpeinliche Befragung einzustimmen. Ich bemühte mich, stillzustehen und möglichst unauffällig das Gewicht von einem Fuß auf den anderen zu verlagern, aber ich ermüdete rasch. Wie schnell doch Hunger und Untätigkeit vermocht hatten, mich derart zu schwächen! Ich empfand beinahe Erleichterung, als die Tür endlich aufging und Edel eintrat, gefolgt von Will. Will redete halblaut auf ihn ein.
»Unnötig. Eine weitere Nacht, höchstens zwei, mehr hätte ich nicht gebraucht.«
»Ich ziehe dies hier vor«, antwortete Edel kalt.
Will neigte in wortloser Zustimmung den Kopf; und als Edel sich hinsetzte, postierte er sich hinter seiner linken Schulter. Nachdem Edel mich eine Weile ge mustert hatte, lehnte er sich zurück,
neigte den Kopf zur Seite und schnaubte durch die Nase. Er hob einen Finger und deutete auf einen Mann. »Kujon. Du. Und lass bitte seine Knochen heil. Wenn wir be kommen haben, was wir wollen, soll er für sei nen letzten Auftritt wieder präsentabel aussehen. Du verstehst, was ich meine?«
Kujon nickte kurz. Er nahm sei nen Winterumhang ab. Dann zog er auch sein Hemd aus. Die anderen Männer sahen mit unbewegter Miene zu. Aus einem lange zurückliegenden Gespräch mit Chade fiel mir sein alter Rat ein: »Du kannst der Folter länger standhalten, wenn du dich auf das konzentrierst, was du sagen willst, statt im mer vor Augen zu haben, was du nicht sagen willst. Ich habe von Män nern gehört, die immer und immer wieder denselben Satz wiederholten, bis weit über den Punkt hinaus, wo sie noch fähig waren, die ihnen gestellten Fragen überhaupt noch zu begreifen. Wenn du alle Gedanken darauf richtest, was du gefahrlos sagen kannst, wird dir nicht so leicht ent schlüpfen, was du verschweigen möchtest.«
Aber dieser theoretische Rat nützte mir unter Umständen nicht viel. Denn Edel schien gar kein Interesse daran zu haben, mir Fragen zu stellen.
Kujon war schwerer als ich, größer als ich, und er sah so aus, als bestünde seine tägliche Verpflegung aus etwas mehr als trocken Brot und Wasser. Er lo ckerte seine Muskeln und streckte sich, als ginge es da rum, beim Winterfest die Kampfbörse einzuheimsen. Ich beobachtete ihn. Er fing mei nen Blick auf und lächelte mit schmalen Lippen, dann zog er mit professioneller Sorgfalt ein paar fingerlose Lederhandschuhe über. Er war offenbar allzeit bereit. Schließlich verbeugte er sich vor Edel, und Edel nickte.
Was soll das?
Sei still! befahl ich Nachtauge. Doch als Kujon zielstrebig auf mich zutrat, fühlte ich, wie sich meine Oberlippe drohend nach
oben schob. Ich wich seinem ersten Schwinger aus, trat vor, um selbst einen Schlag anzubringen, und tänzelte zurück, als er wieder ausholte. Der Mut der Verzweiflung verlieh mir Flügel. Ich hatte niemals erwartet, dass ich Ge legenheit haben würde, mich zu verteidigen, sondern eher fest damit gerechnet, dass Edel das Schauspiel einer sachverständig ausgeführten und ausgeklügelt abgestuften Folter genießen wollte. Aber natürlich war dafür immer noch Zeit genug. Nicht daran denken. Faustkämpfe waren nie meine starke Seite gewesen. Auch da ran wollte ich jetzt lieber nicht denken. Kujons Faust streifte meine Wange und hin terließ einen brennenden Schmerz. Ich musste auf der Hut sein. Ich deute ihm eine Öffnung meiner Verteidigung an, um ihn aus der Reserve zu locken und selbst Maß zu neh men, als mich plötz lich die Gabe traf. Wills Angriff ließ mich taumeln, und Kujon brachte seine nächsten drei Schläge mühelos ins Ziel. Er traf bei mir Kinn, Brust und Wangenknochen, jeweils schnell und präzise. Es war der Stil eines Kämpfers, der viel Übung hatte. Und das Lächeln eines Mannes, der seine Arbeit liebte.
Ab diesem Augenblick verlor Zeit jede Bedeutung für mich. Ich konnte mich nicht gegen Will abschirmen und mich gleichzeitig gegen Kujons Schläge verteidigen. Ich überlegte - wenn man in einer solchen Lage noch von Überlegung sprechen kann -, dass mein Körper seine eigenen Hilfsmittel gegen zu starke Schmerzen besaß. Ich würde die Besinnung verlieren oder sterben. Sterben war vielleicht der einzige Sieg, auf den ich hier hoffen konnte. Deshalb entschloss ich mich da für, lieber meinen Verstand zu schützen als meinen Körper. Es fällt mir schwer, mich an diese
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