Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
gewarnt hatte, und dann meine hochmütige Überzeugung, es besser zu wissen, was das Richtige ist und das Richtige zu tun.
Du hast das Richtige getan.
Nachtauge, begrüßte ich ihn. Ich war zu schwach, zu müde, zu entmutigt, um mehr zu tun.
Komm zu mir. Komm mit mir und wir jagen. Mit mir kannst du all dem entfliehen.
Später vielleicht, vertröstete ich ihn. Mir war nicht da nach, mit ihm zu debattieren.
Ich saß lange da, ohne mich zu rühren. Mein Zusammenstoß mit Burrich war fast schlimmer gewesen als alle Schläge zuvor. Ich versuchte, mich an einen einzigen Menschen in meinem Leben
zu erinnern, den ich nicht enttäuscht hatte. Es fiel mir kein einziger ein.
Mein Blick fiel auf Brawndys Umhang. Ich fror und hätte ihn gerne ge habt, aber ich scheute die Anstrengung, ihn aufzuheben. Ein Steinchen auf dem Boden daneben erregte meine Aufmerksamkeit. Merkwürdig. Ich hatte lange genug auf diesen Boden gestarrt, um zu wissen, dass es in meiner Zelle keine schwarzen Steinchen gab.
Neugier ist eine er staunlich starke Triebfeder. Endlich beugte ich mich tatsächlich vor, hob den Umhang auf und auch das Steinchen. Ich brauchte eine Wei le, bis ich mir den Um hang um die Schultern gelegt hatte. Dann untersuchte ich meinen Fund. Es war kein Stein. Es war ein schwarzes und feuchtes Päckchen. Das waren Blätter. Ein Kügelchen aus zusammengewickelten Blättern. Ein Kügelchen, das mich am Kinn getroffen hatte, als Burrich mich anspuckte? Ich hielt es prüfend in den wechselhaften schwachen Lichtschein, der durch die vergitterte Öffnung fiel. Etwas Weißes stak in dem äußeren Blatt, ich zog es heraus. Was meinen Blick angezogen hatte, war das weiße Ende einer Stachelschweinborste, während die schwarze, mit Widerhaken versehene Spitze die Blattenden zusammenhielt. Im Innern der Umhüllung befand sich ein kleb riges, braunes Kügelchen. Ich hob es an die Nase und roch daran. Es enthielt ein Gemisch aus Kräutern, wobei jedoch ein Aroma dominierte. Ich erkannte es und mir wurde ganz flau zu mute. Es war Carryme, ein starkes Schmerz- und Beruhigungsmittel, das auch dazu geeignet war, um Sterbenskranken einen barmherzigen Tod zu schen ken. Kettricken hatte es be nutzt als sie im Bergreich versuchte, mich zu ermorden.
Komm mit mir.
Jetzt nicht.
Das war Burrichs Abschiedsgeschenk an mich? Ein barmherziger
Tod? Ich überdachte, was er gesagt hatte. Besser, du legst dich hin und stirbst. Das von einem Mann, dessen Motto lautete, der Kampf ist nicht zu Ende, bevor man ihn gewonnen hat? Der Widerspruch war zu krass.
Das Herz des Rudels sagt, du sollst mit mir kommen. Jetzt. Heu te Nacht. Leg dich hin, sagt er. Sei ein Knochen, den die Hunde ausgraben, sagt er. Ich spürte, wie er sich anstrengte, mir diese Botschaft zu übermitteln.
Ich schwieg und überlegte.
Er hat mir den Stachel aus der Lippe gezogen. Bruder. Ich glaube, wir können ihm trauen. Komm mit mir. Jetzt, noch heute Nacht.
Ich betrachtete die Gegenstände, die in mei ner Hand lagen. Das Blatt, der Stachel, die Kräuterperle. Ich wickelte die Perle wieder in das Blatt und steckte es mit dem Stachel zusammen.
Ich begreife nicht, was er von mir erwartet, beschwerte ich mich.
Leg dich hin und werde still. Werde ganz still und komm mit mir, als ich selbst. Ein langes Schweigen setzte ein, während Nachtauge sich in sei nem Kopf etwas zurechtlegte. Was er dir gegeben hat, iss es nur, wenn es sein muss. Nur, wenn du nicht aus eigener Kraft zu mir kommen kannst.
Ich habe keine Ahnung, was er sich denkt. Aber wie du glaube auch ich, dass wir ihm vertrauen können.
Im Halbdunkel, über alle Müdigkeit hinweg, fing ich an, die Naht an mei nem Ärmel aufzuzupfen, dann nahm ich das winzige Briefchen mit dem Giftpulver heraus und verstaute stattdessen Burrichs Carryme darin. Mit der Stachelschweinborste verschloss ich die Öffnung. Nachdenklich schaute ich auf das Papierbriefchen in mei ner Hand. Mei ne innere Stimme meldete sich mit dem Hauch einer Ahnung, was zu tun war, aber ich stellte mich taub. Ich schloss die Faust um das Päckchen, wickelte mich in Brawndys Umhang und legte mich auf die Bank. Und obwohl ich eigentlich
wach bleiben wollte für den Fall, dass Will mich erneut heimsuchte, war ich selbst dazu nur noch zu mut los und zu müde. Ich bin bei dir, Nachtauge.
Über verharschten weißen Schnee machten wir uns gemeinsam auf in die freie Welt der Wölfe.
KAPITEL 32
HINRICHTUNG
S tallmeister Burrich war während seiner Jahre in Bocksburg für
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