Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Halt krallte ich meine Hände in die Bettdecken. Sie hatte mir den Rücken zugekehrt.
»Ich muss dir nicht glauben. Ich muss niemandem mehr irgendetwas glauben.« Sie schwieg und schien über etwas nachzudenken. »Weißt du, frü her, vor langer Zeit, als ich ein klei nes Mädchen war. Noch bevor wir uns begegnet sind.« Ihre Stimme klang merkwürdig tonlos, aber wieder völlig gelassen. »Es war am Frühlingsfest. Ich erinnere mich, wie ich mei nen Vater um ein paar Heller für die Jahrmarktsbuden bat und wie er mich ohrfeigte und sagte, er würde kein Geld für solchen Unfug verschwenden. Dann schloss er mich im Laden ein und ging, um sich zu betrinken. Doch schon damals hatte ich meine Schlupflöcher. Ich ging also trotzdem zu den Buden hinunter, um sie mir anzusehen. In ei ner saß ein alter Mann, der mit einem Kristall die Zukunft vorhersagte. Du weißt, wie sie es machen. Sie halten den Kristall an eine Kerzenflamme und deuten dein Schicksal danach, wie die Farben über dein Gesicht fallen.« Sie sah mich an.
»Ich weiß«, sagte ich und nickte. Ich kannte die Sorte Waldund Wiesenzauberer, die sie meinte, und hatte schon einmal die farbigen Lichter über das selbstvergessene Gesicht einer Frau spielen sehen. Was ich mir jetzt aber mehr als alles andere zu se hen wünschte, und das klar und deutlich, war Mollys Gesicht. In meinen Augen musste sie die Wahrheit erkennen können. Ich sehnte mich danach, einfach aufzustehen und zu ihr hinzugehen, sie in die Arme zu schließen, aber ich wusste, ich würde torkeln, schwanken und vielleicht hinfallen. Nein, ich wollte ihr nicht wieder so ein erbärmliches Schauspiel bieten und sie in ih rem Glauben bestärken, ich sei betrunken.
»Viele Mädchen und Frauen ließen sich die Zukunft vorhersagen, aber ich hatte keinen Heller, deshalb konnte ich nur zuschauen.
Doch nach einer Weile bemerkte mich der alte Mann. Ich nehme an, er dach te, ich wäre nur zu schüchtern. Er fragte mich, ob ich nichts über mei ne Zukunft erfahren wollte, und ich fing an zu weinen, denn ich hatte doch den Heller nicht. Dann lachte Brinna, das Fischweib, und sagte, ich könnte mir das Geld spa ren. Alle Welt wusste, wie meine Zukunft aussah. Ich war die Tochter eines Säufers, ich würde die Frau eines Säufers sein und die Mutter von Säufern.« Ihre Stimme brach, sie atmete tief ein. »Alle fingen an zu lachen. Sogar der alte Mann.«
»Molly«, sagte ich, aber sie hörte mich gar nicht.
»Ich habe immer noch keinen Heller«, fuhr sie leise fort. »Aber eines weiß ich ge nau, ich werde nie die Frau ei nes Säufers sein. Und ich glaube, ich möchte auch keinen zum Freund haben.«
»Du musst mir zu hören. Du bist ungerecht!« Meine verräterische Zunge gehorchte mir nicht. »Ich …«
Die Tür schlug zu.
»… wusste nicht, was du für mich emp funden hast.« Mei ne Worte erstarben in dem leeren, kalten Zimmer.
Dann überfiel mich der Schüttelfrost mit voller Gewalt, aber diesmal wollte ich sie nicht so ohne weiteres gehen lassen. Ich stand auf und kam gerade einmal zwei Schritte weit, bevor der Boden unter mir schwankte wie ein Schiff auf stürmischer See und ich auf die Knie fiel. Eine Zeitlang verharrte ich so und ließ wie ein Hund den Kopf hängen. Ich glaube kaum, dass es sie beeindruckt hätte, wenn ich hinter ihr hergekrochen gekommen wäre, viel eher hätte ich mir wohl ei nen Fußtritt eingehandelt. Vorausgesetzt, es wäre mir überhaupt gelungen, sie zu finden. Stattdessen kroch ich zu mei nem Bett zu rück und kletterte hinein. Die Kleider behielt ich an und zog nur die Decke über mich. Ein dichter schwarzer Schleier senkte sich über meine Augen, aber ich schlief nicht gleich ein, sondern lag wach und dachte über den letzten
Sommer nach. Wie dumm ich gewesen war. Ich hatte einer Frau den Hof ge macht und geglaubt, ich ginge mit ei nem Mädchen spazieren. Diese drei Jah re Altersunterschied - ich war überzeugt gewesen, dass sie in mir nur den Jungen sah und ich sie nie gewinnen konnte. Deshalb hatte ich mich be nommen wie ein Junge und gar nicht erst den Versuch gemacht, ihr als Mann gegenüberzutreten. Und ge nau dieser Junge hatte sie verletzt und ja, sie getäuscht und aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Liebe unwiderruflich verloren. Mit diesen düsteren Gedanken versank ich in einer tiefschwarzen Dunkelheit, die mir nur einen winzigen und vielleicht trügerischen Lichtblick bot.
Sie hatte den Jungen geliebt und eine ge meinsame Zukunft für uns vorausgesehen. Ich
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