Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
an diesem Tag noch nichts verkauft.
»Ich habe dir ge sagt, ich weiß nicht, wie ich ihn wegschaffen soll!« Unter dem Rand der Kapuze hervor schaute ich zum Himmel. Die ers ten dicken und nassen Flocken schwebten herab. Die Witterung war scheußlich, zu warm für klir renden Frost, aber nicht warm ge nug für Tauwetter. Bei Ta gesanbruch würden die Straßen von ei ner glänzenden Eisschicht überzogen sein. Ich wandte mich ab zum Gehen.
»Dann gib mir deine sechs verdammten Kupferlinge!«, brüllte der Händler wutschnaubend.
Ich klaubte die Geldstücke eines nach dem anderen aus dem Beutel. »Und werdet Ihr ihn auf Eu rem Karren zu mir nach Hause bringen?«
»Trag ihn selbst, Junge. Du hast mich bestohlen, du weißt es.«
Damit stellte er zuerst den Käfig mit den Tauben, dann den leeren Krähenkäfig auf sei nen Karren. Ohne mei nen aufgebrachten Protesten Gehör zu schenken, kletterte er auf den Bock und schüttelte die Zügel des Ponys. Der alte Gaul setzte sich in Bewegung, und knarrend verschwand das Gefährt in dem dichter werdenden Schneetreiben und der Abend dämmerung. Der Marktplatz lag verlassen da, nur noch we nige Menschen waren unterwegs. Vermummt, mit hochgeschlagenem Kragen, eilten sie durch den scharfen Wind und die wirbelnden Flocken nach Hause.
»Was fange ich jetzt mit dir an?«, fragte ich den Wolf.
Lass mich frei.
Nicht gut. Nicht sicher. Wenn ich einen Wolf hier mitten in der Stadt freiließ, dann war er so gut wie tot. Zu viele Hunde, die sich zusammenrotten würden, um ihn zu hetzen; zu viele Männer, die keine Skrupel hätten, ihn wegen seines Fells zu erschießen. Oder allein deshalb, weil er ein Wolf war. Ich bückte mich, um den Käfig anzuheben und zu prüfen, ob ich ihn tragen konnte. Er ging mit gefletschten Zähnen auf mich los.
Zurück! Seine Wut strömte durch meinen Kopf. Es war buchstäblich ansteckend.
Ich werde dich töten. Du bist dasselbe wie er, ein Mensch. Du willst mich in diesem Käfig gefangenhalten. Ich werde dich töten. Ich werde dich zerfleischen und mich in deinen Gedärmen wälzen.
Du gehst ZURÜCK! Ich stemmte mich mit aller gedanklichen Kraft gegen ihn, worauf er sich verwirrt und verängstigt niederkauerte.
Ich hob den Käfig an. Er war schwer, und die erschrockenen Bewegungen des Tie res machten ihn nicht leichter. Doch ich konnte ihn tragen. Nicht sehr weit und nicht für lange, aber wenn ich zwischendurch Pausen einlegte, sollte es mir gelingen, ihn aus der Stadt zu schaffen. Ausgewachsen würde der Wolf vermutlich annähernd mein Gewicht haben, aber noch war er kno chig und jung. Jünger sogar, als ich auf den ersten Blick angenommen hatte.
Entschlossen nahm ich den Käfig auf die Arme und drückte ihn an die Brust. Falls mein Schütz ling sich jetzt zu ei nem Angriff entschloss, war ich ziem lich hilflos, doch er winselte nur und drückte sich in die entfernteste Ecke. Durch das Ungleichgewicht ließ der Kasten sich noch schlechter tragen.
Wie bist du in Gefangenschaft geraten?
Ich hasse dich.
Wie bist du in Gefangenschaft geraten?
Erinnerungen an eine Höhle und zwei Brüder tauchten auf. Eine Mutter, die ihm Fisch brachte. Dann Blut und Qualm - und seine Brüder und seine Mutter wurden zu übelriechenden Fellen für den Stiefelmann. Er wurde nach draußen gezerrt und in einen Käfig gesteckt, der nach Frett chen stank. Der Mann warf ihm Aas vor. Das hatte ihn am Leben erhalten. Und der Hass. Er nährte sich von Hass.
Du musst ein Nachzügler gewesen sein, wenn deine Mutter dich mit Fisch gefüttert hat.
Diesmal antwortete mir stumme Gekränktheit.
Alle Gassen führten bergauf, der Schnee wurde pappig. Meine ausgetretenen Schuhe rutschten auf den vereisten Pflastersteinen, und von der Last des Käfigs taten mir die Schultern weh. Ich fürchtete, die Anstrengung könnte einen Schwächeanfall in mir auslösen. Immer häufiger musste ich stehenbleiben, um zu verschnaufen, und während ich die Arme ausschüttelte und mich bemühte, wieder zu Atem zu kom men, weigerte ich mich strikt, über diese jüngste Torheit nachzudenken, die ich mir geleistet hatte. Nein, ich würde mich weder mit diesem Wolf verbinden noch mit irgendeinem anderen Tier. Ich hatte es mir geschworen, hoch und heilig. Sobald ich diesen Welpen halbwegs aufgepäppelt hatte, wollte ich ihn irgendwo freilassen. Burrich brauchte nie davon zu erfahren, und mir blieb es erspart, seine Verachtung zu ertragen. Wieder hob ich den Käfig hoch. Wer hätte gedacht, dass ein
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