Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
in der Ecke, wo ich, an die Wand gelehnt, die Füße so auf die Bank gegenüber legen konnte, dass jedem klar sein musste, wie wenig mir nach Ge sellschaft war. Vor mir stand ein längst schal gewordener Krug Ale. Ich konnte mich nicht einmal dazu entschließem, mich zu betrinken. Ziemlich unglücklich starrte ich ins Leere und versuchte, an gar nichts zu denken, als mir mit einem Ruck die Bank unter den Füßen weggezogen wurde. Fast wäre ich mit dem Hintern auf den Boden gerutscht. Als ich mich von meiner Überraschung erholt hatte, sah ich Bur rich, der mir gegenüber Platz nahm.
»Was fehlt dir?«, fragte er ohne Umschweife. Leiser fügte er hinzu: »Hast du wieder einen Anfall gehabt?«
Ich richtete den Blick auf die Tisch platte und antwortete ebenso leise: »Ein paarmal hat mich das Zittern überkommen, richtige Anfälle waren es aber nicht. Sie scheinen nur aufzutreten, wenn ich mich zu sehr anstrenge.«
Er nickte ernst und wartete. Als ich aufschaute, begegnete ich dem Blick seiner dunklen Augen. Die Anteilnahme darin ließ meine Fassade zusammenbrechen. Ich schüttelte den Kopf und musste zweimal ansetzen, bevor ich weitersprechen konnte. »Es ist Molly«, sagte ich endlich.
»Du hast nicht herausfinden können, wohin sie gegangen ist?«
»Doch. Sie ist hier in Bocksburg, als Philias Dienstmagd. Aber Philia will mich nicht mit ihr reden lassen, sie sagt …«
Bei meinen ersten Worten waren Burrichs Augen groß geworden, jetzt schaute er sich nach allen Seiten um und deutete mit einem Kopfnicken zur Tür. Ich stand auf und folgte ihm zu den Stallungen und dann hi nauf in sei ne Kammer. Wie in alten Zeiten setzte ich mich an sei nen Tisch, vor sei nem Kamin, während er seinen guten Tilthbrandy und zwei Becher hervorholte. Er legte uns sein Sattlerwerkzeug und reparaturbedürftiges Zaumzeug zurecht. Mir reichte er ein Kopfgeschirr, bei dem ein schadhafter Riemen ausgewechselt werden musste. Er machte sich an eine komplizierte Verzierung am Seitenblatt ei nes Sattels. Schließlich zog er seinen Stuhl heran, setzte sich und schaute mich an. »Diese Molly. Kann es sein, dass ich sie im Wasch haus gesehen habe, mit Lacey? Trägt den Kopf hoch? Rötlich schimmerndes Fell?«
»Haar«, be richtigte ich ihn widerwillig.
»Schöne breite Hüften. Sie wird leicht gebären«, bemerkte er fachmännisch.
Ich warf ihm einen bösen Blick zu. »Vielen Dank.«
Er besaß die Unverfrorenheit zu grinsen. »Schon besser. Wütend bist du mir lieber, als wenn du in Selbst mitleid ertrinkst. Nun gut. Heraus damit.«
Und ich erzählte, wahrscheinlich viel mehr, als ich in der Wachstube gesagt hätte, denn hier waren wir unter uns, der Brandy rann mir warm durch die Keh le, und ich war um geben von den vertrauten Gegenständen und Ge rüchen seiner Kammer und seiner Arbeit. Hier, wenn überhaupt irgendwo, war im mer meine Zuflucht gewesen, ein Ort der Geborgenheit. Deshalb erschien es mir auch als der rechte Ort, mei nen Schmerz zu offenbaren. Burrich sagte nichts und machte keine Einwürfe. Selbst nachdem ich mich ausgesprochen hatte, schwieg er, und ich sah zu, wie er Farbe in die kunstvoll in das Leder geschnittenen Umrisse eines Hasenbocks einrieb.
»Also, was soll ich tun?«, hörte ich mich fragen.
Er legte die Arbeit hin, leerte seinen Becher und goss sich wieder ein. Dann ließ er den Blick vielsagend durch die Kammer wandern. »Du bittest mich natürlich deshalb um Rat, weil ich so bemerkenswerten Erfolg darin hatte, mich mit einer liebenden Frau und einer vielköpfigen Kinderschar zu umgeben?«
Die Bitterkeit in seiner Stimme erschütterte mich, doch ehe ich etwas erwidern konnte, stieß er ein ersticktes Lachen aus. »Vergiss, dass ich das gesagt habe. Im Grunde genommen war es meine eigene Entscheidung, und sie wurde bereits vor langer Zeit getroffen. FitzChivalric, was glaubst du denn, was du tun solltest?«
Ich starrte ihn verdrossen und ratlos an.
»Was war denn dein erster Fehler?« Als ich nicht antwortete, meinte er: »Hast du mir nicht eben selbst erzählt, du wärst wie ein dummer Junge um sie herumscharwenzelt, während sie glaubte, ein Mann machte ihr den Hof? Sie wollte einen Mann. Also lauf nicht herum wie ein Kind, dem ein Erwachsener auf die Fin ger geklopft hat. Sei ein Mann.« Er nahm einen großen Schluck, dann schenkte er uns beiden erneut ein.
»Aber wie?«
»Auf dieselbe Art, wie du dich auf an deren Gebieten als Mann erwiesen hast. Übe dich in Disziplin, werde der Aufgabe gerecht.
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