Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
der Schmerz, als ich damals glaubte, sie habe mich für einen anderen verlassen, eine Bagatelle, verglichen mit der Qual, sie jetzt in der Überzeugung zu lassen, ich hätte sie belogen.
Ich erwachte aus meinem Grübeln und stellte fest, dass meine verräterischen Schritte mich ge radewegs zur Tür ihres ehemaligen Kerzenladens geführt hatten. Jetzt war es eine Tee- und Kräuterhandlung. Genau was Burgstadt brauchte - noch eine Tee- und Kräuterhandlung. Ich fragte mich, was aus Mollys Bienenstöcken
geworden sein mochte, und begriff plötzlich, dass für Molly das Gefühl der Entwurzelung zehnmal, nein noch hundertmal schlimmer sein musste. Wie leicht war ich da rüber hinweggegangen, dass Molly ihren Vater verloren hatte und mit ihm ih ren Lebensunterhalt und ihre Zu kunft. Welch ein Schicksalsschlag für sie, der zur Folge hatte, dass sie sich in der Burg als Dienst magd verdingen musste. Ich biss die Zähne zusammen und ging weiter.
Mein Weg führte mich kreuz und quer durch den Ort. Trotz meiner düsteren Stimmung fiel mir auf, wie viel sich in den zurückliegenden sechs Monaten verändert hatte. Selbst an diesem kalten Wintertag herrschte reges Leben in den Gassen. Die Arbeit auf den Werften hatte Menschen angelockt, und mehr Menschen bedeuteten mehr Umsatz. Ich kehrte in ei ner Taverne ein, wo Molly, Dork, Kerry und ich uns frü her ab und an ein Glas Branntwein zu teilen pflegten. Der billigste Brombeerschnaps war meistens alles gewesen, was wir uns leisten konnten. Diesmal saß ich allein an einem Tisch vor einem kleinen Ale, doch ringsum wurden eifrig Geschichten erzählt, und ich erfuhr so einiges. Nicht allein der Bau der Flotte war für die Belebung von Burgstadts Handel und Wandel verantwortlich. Veritas rief nach See leuten, um sei ne Kriegsschiffe zu be mannen, und Scha ren von Män nern und Frauen aus sämtlichen Küstenprovinzen waren dem Ruf gefolgt. Manche kamen, um Rache zu nehmen, für Freunde oder Angehörige, die von Piraten getötet oder entfremdet worden waren. Einige trieb die Abenteuerlust her oder die Hoff nung auf Beute, oder sie waren heimatlos geworden. Andere stammten aus Fischer- oder Kaufmannsfamilien und hatten Erfahrung zur See, wieder andere waren die früheren Schäfer und Bauern aus den zerstörten Dörfern. Es machte wenig Unterschied. Alle waren nach Burgstadt gekommen, weil sie darauf brannten, das Blut der Roten Korsaren zu vergießen.
Zum größten Teil waren diese Menschen in ausgeräumten Lagerhäusern untergebracht. Hod, die Waffenmeisterin aus der Burg, lehrte sie kämpfen und sortierte diejenigen aus, die ihr für den Dienst in Veritas’ Flotte geeignet schienen. Den Übrigen wurde angeboten, in die Armee einzutreten. Das also waren die Fremden, von denen die Stadt überquoll und die sich in den Spei sehäusern und Tavernen drängten. Wenig Begeisterung herrschte da rüber, dass es sich bei einigen der Freiwilligen um eingewanderte Outislander handelte, aus der Heimat vertrieben von denselben Roten Korsaren, die nun unsere Küsten unsicher machten. Auch sie behaupteten, Rache nehmen zu wollen, aber man traute ihnen nicht, und mancherorts in der Stadt weigerte man sich, sie zu bedienen. Diese hässliche Stimmung vergiftete die Atmosphäre in der vollbesetzten Taverne. Am Schanktisch erzählte man hämisch von einem Outislander, der tags zuvor auf der Pier zusammengeschlagen worden war. Kein Mensch hatte die Stadtwache gerufen. Als die Hetzreden noch weiter und bis zu der Pa role ausarteten, diese Outislander seien allesamt Spione und sie zum Scheiterhaufen zu führen sei eine kluge und vernünftige Vorsichtsmaßnahme, konnte ich es nicht länger aushalten und ging. Gab es denn kei nen Ort, an dem man von Verdächtigungen und Intrigen verschont blieb, nicht einmal für eine Stunde?
Ich wanderte allein durch die winterlichen Straßen. Ein Unwetter braute sich zusammen. Sein Vorbote, ein unbarmherziger Wind, pfiff um die Häuse recken und versprach Schnee. Die gleiche feindselige Kälte schwoll und brodelte in meinem Inneren, wandelte sich von Zorn zu Hass und wieder zu Zorn, bis der Druck nahezu unerträglich wurde. Man hatte kein Recht, mich so zu behandeln. Ich war nicht ihr Werkzeug. Ich hatte das Recht, mein eigenes freies Leben zu führen, der zu sein, als der ich geboren war. Glaubten sie, mich ihrem Willen unterwerfen, mich
benutzen zu können, und ich würde nie dafür Vergeltung üben? Nein. Die Zeit würde kommen. Meine Zeit würde kommen.
Ein Mann kam
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