Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
eines Zuchthengstes nur zu beobachten, oder wie sie den liebesmüden Eber behandelten, den ein Bauer zur Burg hinaufgebracht hatte. Bei solchen Gelegenheiten blieb ich - ohne dass sie es böse meinten - aus ihrem Kreis ausgeschlossen. Es war gut so. Mein Dasein spielte sich jetzt auf einer anderen Ebene ab. Ich konnte nicht erwarten, dass die Tür zu meinem früheren Leben ewig für mich offenstehen würde.
Dennoch packte mich jeden Tag das Gewissen, wenn ich zu der verfallenen Kate hinter den Getreidespeichern schlich. Ich ließ immer größte Vorsicht walten. Mein neuer Friede mit Burrich war noch nicht von so langer Dauer, dass ich ihn einfach für gegeben nahm. Ich erinnerte mich nur zu gut, wie schmerz lich es gewesen war, seine Freundschaft zu verlieren. Sollte Burrich jemals auch nur ahnen, dass ich wie der angefangen hatte, von der al ten Macht Gebrauch zu machen, würde er mich genauso schnell und gründlich fallenlassen wie das vorherige Mal. Jeden Tag fragte ich mich aufs Neue, weshalb ich be reit war, wegen eines jungen Wolfs sei ne Freundschaft und seinen Respekt aufs Spiel zu setzen.
Die einzige Antwort war: Ich hatte keine Wahl. Ich hätte an dem Welpen ebenso wenig vorbeigehen können wie an einem hungernden und eingesperrten Kind. Für Burrich war die alte Macht, die es mir ermöglichte, in das Bewusstsein von Tieren einzudringen, eine Abartigkeit und eine widernatürliche Versuchung, die eines Menschen unwürdig war. Er hatte es nie ausgesprochen, aber stillschweigend eingestanden, in sich selbst diese schlummernde Fähigkeit zu verspüren, behauptete jedoch unerschütterlich, keinen Gebrauch davon zu machen. Falls doch, hatte ich ihn nie dabei ertappt. Er mich hingegen schon. Mit untrüglicher Sicherheit
hatte er stets gewusst, wann ich mich zu ei nem Tier hin gezogen fühlte und mich mit einer Kopfnuss oder einem gehörigen Klaps zur Ordnung gerufen. Solange ich unter Burrichs Obhut in den Ställen gelebt hatte, war es ihm bis auf zwei Aus nahmen gelungen zu verhindern, dass ich mich mit ei nem Tier verbrüderte. Die tiefe Trauer beim Verlust eines engen Gefährten hatte mich überzeugt, dass Burrich im Recht war. Nur ein Narr würde sich auf etwas einlassen, das sol chen Schmerz nach sich zog. Dann war ich also ein Narr und nicht ein Mann, der vor dem Leid ei nes misshandelten und halbverhungerten Tieres die Augen verschließen konnte.
Ich stibitzte Knochen und Fleischreste und altes Brot und gab Acht, dass niemand, auch nicht die Köchin oder der Narr, etwas davon bemerkte. Um nicht aufzufallen und nicht durch ei nen allzu deutlich ausgetretenen Pfad mein Ge heimnis zu ver raten, wählte ich für meine Besuche jeden Tag eine andere Uhrzeit und einen anderen Weg. Am schwierigsten war es gewesen, sauberes Stroh sowie eine alte Pferdedecke aus dem Stall zu schmuggeln, aber auch das hatte sich irgendwie bewerkstelligen lassen.
Trotz der unterschiedlichen Zeiten wartete Cub stets schon auf mich. Es war nicht nur der Instinkt eines hungrigen Tieres. Er spürte, wann ich mich auf den Weg zu ihm machte, und stand bereit, um mich zu empfangen. Er wusste auch, wann ich Ingwerkekse in der Ta sche hatte, eine allzu schnell liebgewordene Nascherei. Nicht, dass er seinen Argwohn verloren hätte. Ich spürte nach wie vor seine Anspannung und wie er zu rückzuckte, sobald ich eine unsichtbare Linie überschritt. Doch je der Tag ohne Schläge, mit jedem bisschen Futter, das ich ihm brachte, war ein weiteres Stück des Misstrauens zwischen uns überwunden. Es war eine Entwicklung, die ich keinesfalls begrüßte. Ich gab mir Mühe, kein Gefühl der Zuneigung zu meinem Pflegling aufkommen zu lassen und so wenig wie möglich durch die alte Macht mit ihm zu kommunizieren.
Meine Sorge war, er könnte sich zu sehr an mich gewöhnen und die Wild heit verlieren, die er brauchte, um in Frei heit zu überleben. Immer wieder warnte ich ihn: »Du musst dich verborgen halten. Jeder Mensch ist dein Feind, erst recht jeder Hund. Du musst in diesem Gebäude bleiben und still sein, wenn jemand in die Nähe kommt.«
Anfangs fiel es ihm leicht zu ge horchen. Er war erbarmungswürdig abgemagert und stürzte sich heißhungrig auf das Futter, das ich ihm brachte. Meistens lag er schon schla fend auf sei nem Strohbett, bevor ich die Kate verließ, oder beäugte mich eifersüchtig über ei nen besonders schmackhaften Knochen hinweg, an dem er nagte.
Doch gute Ernährung, Bewegungsfreiheit und wachsendes Zutrauen hatten zur Folge,
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