Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
wollte keinen Branntwein mehr. Aber jemand anders wollte, dass ich wollte. Jemand drängte mich, den Becher zu nehmen und ihn einfach nur in der Hand zu halten. Ich ließ den Branntwein im Becher kreisen. Veritas hatte die Angewohnheit gehabt, den Wein in seinem Glas zu schwenken und sinnend hineinzuschauen. Mein Blick verlor sich in der Tiefe des Bechers.
Fitz.
Ich stellte den Becher hin. Ich stand auf und ging durchs Zimmer. Ich wäre gerne ins Freie geflüchtet, aber Burrich ließ mich nie allein nach draußen, erst recht nicht in der Nacht. Deshalb unternahm ich einen Rundgang durch das Zimmer, bis ich wieder bei meinem Stuhl anlangte. Ich setzte mich hin. Der Becher Branntwein stand immer noch da. Schließlich griff ich danach, nur um das drängende Gefühl loszuwerden, ihn hochheben zu müssen. Er drängte mich. Und kaum hatte ich ihm einmal nachgegeben, drängte er mich weiter. Er gab mir den Wunsch ein, daraus zu trinken. Wie warm sich doch der Schnaps in meinem Bauch anfühlen würde. Trink es schnell hinunter! Der Geschmack wird nicht bleiben, dafür aber die warme, wohlige Glut in meinem Bauch.
Ich merkte, was er vorhatte. Ich wurde zornig.
Nur noch einen kleinen wohltuenden Schluck. Ein Flüstern nur. Damit du zur Ruhe kommst, Fitz. Das Feuer ist warm. Du hast zu essen gehabt. Burrich wird dich beschützen, und auch Chade ist da. Du musst nicht ständig auf der Hut sein. Nur noch einen Schluck. Einen winzigen Schluck.
Nein.
Nur einmal nippen, um die Lippen zu benetzen.
Ich tat es, damit er aufhörte, mich zu quälen. Doch er hörte nicht auf, deshalb nippte ich wieder. Ich nahm einen großen Schluck und spürte, wie er brennend durch meine Kehle lief. Es wurde schwerer und schwerer, seinem Drängen zu widerstehen. Er zermürbte meinen Willen. Und Burrich sorgte dafür, dass mein Becher nicht leer wurde.
Fitz, sag: »Veritas lebt.« Das ist alles. Sag nur das.
Nein.
Fühlt sich der Branntwein in deinem Magen nicht gut an? So warm. Trink noch einmal.
»Ich weiß, was du willst. Du willst mich betrunken machen. Damit ich dir gehorche. Aber den Gefallen tue ich dir nicht.« Mein Gesicht war nass von Schweiß.
Burrich und Chade schauten mich beide an. »Er war früher nie einer von den weinerlichen Trinkern«, bemerkte Burrich. »Wenigstens nicht in meiner Gegenwart.« Das schienen sie interessant zu finden.
Sag es. Sag: »Veritas lebt«, dann lasse ich dich in Ruhe. Du hast mein Wort. Nur sag es. Ein einziges Mal. Und wenn du es nur flüsterst. Sag es. Sag es.
Ich schaute auf die Tischplatte. Sehr leise sagte ich: »Veritas lebt.«
»Oh?« Burrich beugte sich zu schnell vor, um mir noch einmal einzuschenken. Doch die Flasche war leer. Er gab mir etwas aus seinem eigenen Becher.
Plötzlich wollte ich den Schnaps. Wollte ihn für mich selbst. Ich nahm den Becher und leerte ihn bis zur Neige, dann stand ich auf. »Veritas lebt«, wiederholte ich. »Er friert, aber er ist am Leben. Und das ist alles, was ich zu sagen habe.« Ich schritt zur Tür, hob den Riegel und ging hinaus in die Nacht. Sie versuchten nicht, mich aufzuhalten.
Burrich hatte Recht. Alles war da, wie ein Lied, das einem, zu oft gehört, nicht mehr aus dem Sinn geht. Es lief als roter Faden durch all meine Gedanken und formte meine Träume. Es drängte sich in mein Bewusstsein und ließ mir keinen Frieden. Aus Frühling wurde Sommer. Alte Erinnerungen fingen an, die neuen zu überlagern. Mein früheres und mein neues Leben begannen sich miteinander zu verflechten. Es gab Erinnerungslücken und Gedächtnisschwächen an den Verbindungsstellen, doch es wurde für mich immer schwerer, die Dinge nicht zu erkennen. Namen hatten wieder Bedeutung und beschworen jeweils ein Gesicht herauf. Philia, Lacey, Zelerita und Rußflocke waren nicht mehr einfach nur Worte, sondern hallten wie Glocken wider in Erinnerungen und Gefühlen. »Molly«, sagte ich schließlich eines Tages laut vor mich hin. Burrich hob ruckartig den Kopf und ließ fast die aus Darm gezwirnte Schlinge los, an der er arbeitete. Ich hörte, wie er Luft holte, als ob er etwas sagen wollte, doch er schluckte die Worte herunter und wartete, ob von mir noch etwas kam. Aber ich schwieg, schloss die Augen, barg das Gesicht in den Händen und sehnte mich nach Vergessen.
Oft und lange stand ich am offenen Fenster und blickte über die Wiesen. Es gab nichts zu sehen, aber Burrich schimpfte mich weder aus, noch scheuchte er mich zurück an meine Arbeit, wie er es früher getan
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