Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
hätte. Eines Tages, als ich auf das fette Weideland hinausschaute, fragte ich Burrich: »Was tun wir, wenn die Schafherden kommen? Wo finden wir dann einen Unterschlupf?«
»Denk nach.« Er hatte ein Kaninchenfell am Boden ausgespannt und schabte Fleisch und Fett von der Haut. »Da werden keine Herden mehr kommen, die man auf die Sommerweide treibt. Das beste Vieh ist mit Edel landeinwärts gegangen. Er hat Bocksburg von allem geplündert, das sich wegschaffen ließ, auf welche Art auch immer. Ich möchte darum wetten, dass sämtliche Schafe, die er in Bocksburg zurückgelassen hat, bereits im Laufe des Winters in den Kochtopf gewandert sind.«
»Wahrscheinlich«, stimmte ich zu. Und dann drängte sich etwas Schreckliches in mein Bewusstsein, schrecklicher als alle verdrängten Erinnerungen. Es war die Flut der Dinge, die ich nicht wusste, und die Flut der unbeantworteten Fragen. Mit einem langen Spaziergang versuchte ich, mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, und wanderte über die Wiesen bis zum Bach und dann am Ufer entlang zu der sumpfigen Stelle, wo die Binsen wuchsen. Ich pflückte ihre grünen Spitzen, um sie Burrich für den Haferbrei zu geben. Da waren mir plötzlich wieder die Namen sämtlicher Pflanzen geläufig; unwillkürlich wusste ich wieder, welche von ihnen einen Menschen töten konnten und wie sie anzuwenden waren. Das alte Wissen war da und wartete darauf, erneut von mir Besitz zu ergreifen, ob ich das wollte oder nicht.
Als ich mit den Binsenspitzen heimkam, rührte Burrich im Kochtopf. Ich legte sie auf den Tisch und schöpfte aus dem Fass eine Schüssel mit Wasser. Während ich die Binsen säuberte und abzupfte, stellte ich endlich die Frage, die mir am meisten auf der Seele brannte. »Was ist geschehen? In der Nacht damals?«
Burrich drehte sich sehr langsam zu mir herum, als wäre ich ein Stück Wild, das man durch eine hastige Bewegung verscheuchen konnte. »In der Nacht damals?«
»Die Nacht, in der König Listenreich und Kettricken aus Bocksburg fliehen sollten. Weshalb standen die Pferde und die Sänfte nicht bereit?«
»Oh, die Nacht.« Er seufzte, als erinnerte er sich an einen alten Schmerz, dann begann er sehr langsam und sehr ruhig zu sprechen, als hätte er Angst, mich zu erschrecken. »Sie haben uns beobachtet, Fitz. Die ganze Zeit. Edel wusste alles. Ich hätte nicht einmal einen Strohhalm aus dem Stall schmuggeln können, geschweige denn drei Pferde, eine Sänfte und ein Maultier. Überall lungerten Soldaten aus Farrow herum, die den Anschein zu erwecken suchten, sie wären nur gekommen, um die leeren Boxen zu inspizieren. Ich wagte nicht, zu dir zu gehen und dir Bescheid zu geben. Also wartete ich, bis das Fest in vollem Gange war, Edel sich die Krone aufgesetzt hatte und sich als Sieger fühlte. Dann schlich ich mich davon und holte die einzigen beiden Pferde, die ich auftreiben konnte, Rußflocke und Rötel. Ich hatte sie in der Schmiede untergestellt, damit Edel sie nicht ebenfalls verhökern konnte. Der einzige Proviant, den ich auftreiben konnte, stammte aus der Wachstube. Etwas Besseres wollte mir nicht einfallen.«
»Und Königin Kettricken und der Narr sind entkommen.« Die Namen gingen mir seltsam zögernd über die Lippen. Ich wollte nicht an sie denken, mich überhaupt nicht an sie erinnern. Als ich den Narren das letzte Mal gesehen hatte, hatte er geweint und mir vorgeworfen, ich sei der Mörder seines Königs. Auf mein Betreiben war er anstelle des Königs geflohen, um sein Leben zu retten. Es war nicht die beste Erinnerung an den Abschied von jemandem, den ich meinen Freund genannt hatte.
»Ja.« Burrich stellte den Topf auf den Tisch, um den Haferbrei quellen zu lassen. »Chade und der Wolf führten sie zu mir. Ich hätte sie gern begleitet, aber es wäre unklug gewesen. Ich hätte sie nur aufgehalten. Mein Bein... - Ich hätte nicht lange Schritt halten können, und zwei Reiter zu tragen, bei dem Wetter, hätte die Pferde ermüdet. Ich musste sie allein auf den Weg schicken.« Schweigen. Dann knurrte er grimmig: »Wenn ich je herausfinde, wer uns an Edel verraten hat...«
»Ich war’s.«
Er starrte mich an, auf seinem Gesicht malten sich Entsetzen und Unglauben. Ich senkte den Blick auf meine Hände. Sie begannen zu zittern.
»Ich war unvorsichtig. Es war mein Fehler. Die kleine Zofe der Königin, Rosemarie. Allgegenwärtig und überall dabei. Sie muss Edels Spitzel gewesen sein. Sie hörte, wie ich der Königin sagte, sie solle sich
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