Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
ich dich an die Garde des Königs verkaufen wollte, hätte ich es längst getan. In deiner Lage, FitzChivalric, derart auf dich allein gestellt und mit deiner Kunst inzwischen ziemlich am Ende, solltest du dich endlich entschließen, jemandem zu vertrauen.«
Als sie mich mit meinem Namen ansprach, spürte ich, wie sich so etwas wie eine unbewusste innere Spannung in mir löste. »Warum? «, fragte ich trotzdem. »Warum hilfst du mir? Und erzähl mir nicht, es wäre wegen eines Liedes, das es vielleicht niemals geben wird.«
»Das beweist, wie wenig Ahnung du von fahrenden Sängern hast«, meinte sie. »Es ist für uns die größte Verlockung. Aber vielleicht steckt noch mehr dahinter. Nein, ich weiß es.« Plötzlich hob sie den Blick und schaute mir in die Augen. »Ich hatte einen kleinen Bruder. Jay. Er war Soldat und auf der Geweihinsel stationiert. Er sah dich kämpfen, am Tag als die Piraten kamen.« Sie stieß ein kurzes Lachen aus. »Um genau zu sein, du bist über ihn hinweggestiegen, um mit deiner Axt dem Mann den Schädel zu spalten, der ihn zuvor niedergeschlagen hatte, und dann bist du nur noch tiefer durch das Blut des Schlachtfelds gewatet, ohne noch einmal zurückzuschauen.« Unbewusst strich ihre Hand über die Harfe in ihrer Armbeuge. »Das ist der Grund, weshalb ich den ›Kampf auf der Geweihinsel‹ etwas anders besinge als alle anderen Sänger. Er hat mir davon erzählt, und ich beschreibe dich, wie er dich sah. Ein Held. Du hast ihm das Leben gerettet.«
Plötzlich wandte sie den Blick ab. »Für eine Weile jedenfalls. Er ist später doch noch im Kampf für das Herzogtum Bock gefallen. Aber du hast ihm mit deiner Axt eine weiter kurze Lebensspanne geschenkt.« Sie schwieg und warf sich den Umhang über. »Bleib hier. Ruh dich aus. Ich komme erst spät wieder, bis dahin kannst du das Bett haben.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, war sie zur Tür hinaus und verschwunden. Eine Weile stand ich nur da und starrte auf die geschlossene Tür. FitzChivalric. Ein Held. Nur Worte. Doch es war, als hätte sie in mir eine eiternde Wunde aufgestochen und das Gift hinausgelassen, so dass sie nun heilen konnte. Es war ein seltsames Gefühl, ein wenig Schlaf zu bekommen. Eine wohlige Müdigkeit ergriff von mir Besitz und ja, es fühlte sich so an, als ob ich heute Nacht tief und traumlos würde schlafen können.
KAPITEL 14
SCHMUGGLER
E s gibt nur wenige so frei umherschweifende Geister wie die fahrenden Musikanten, jedenfalls in den Sechs Provinzen. Besitzt einer von ihnen wirkliches Talent, kann er sich fast nach Belieben über die Regeln von Sitte und Moral hinwegsetzen. Weil sie in gewisser Weise auch Chronisten sind, ist es ihnen gestattet, die neugierigsten Fragen zu stellen. So gut wie ohne Ausnahme kann ein fahrender Sänger überall, wo er hinkommt, Gastfreundschaft erwarten, von des Königs eigener Tafel bis zur ärmlichsten Bauernhütte. Die Vaganten, wie sie auch noch genannt werden, heiraten meist spät im Leben, was nicht ausschließt, dass sie schon vorher Kinder haben. Diese Kinder sind frei von dem Stigma anderer Bastarde und wachsen oft in adligen Häusern auf, um später selbst zu Vaganten herangebildet zu werden. Man erwartet von den fahrenden Spielleuten, dass sie mit Gesetzlosen und Rebellen genauso Umgang haben wie mit Aristokraten und Kaufleuten. Sie überbringen Botschaften, verbreiten Neuigkeiten und bewahren in ihrem hervorragenden Gedächtnis viele Verträge und Vereinbarungen. So verhält es sich wenigstens in Zeiten des Friedens und des Überflusses.
Merle kehrte zu einer Stunde zurück, die Burrich als frühen Morgen bezeichnet hätte. Ich erwachte, als sie die Klinke herunterdrückte, sprang vom Bett und wickelte mich auf dem Fußboden in meinen Umhang, um weiterzuschlafen. »FitzChivalric«, grüßte sie mich beim Hereinkommen mit schwerer Zunge, und ich roch den Wein in ihrem Atem. Sie nahm ihren Umhang ab, musterte mich nachdenklich und breitete ihn dann als zusätzlichen Wärmespender über mir aus. Ich schloss die Augen. Ohne sich an meiner Gegenwart zu stören, ließ sie hinter mir ihre Oberkleidung zu Boden fallen, und dann hörte ich das Bett knarren, als sie sich darauf ausstreckte. »Oh, wie schön. Vorgewärmt«, murmelte sie und wühlte sich tiefer in Kissen und Decken. »Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, dich aus dem warmen Nest zu vertreiben.«
Ihre Gewissensbisse schienen sich allerdings in Grenzen zu halten, weil schon nach wenigen Augenblicken ihre
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