Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
und Stiefel trug.« Merle lächelte amüsiert. »Die Stiefel waren riesig.«
»Und du kennst die Stiefelgröße des Königs?« Ich wusste, dass sie mit ihrer Schlussfolgerung Recht hatte. Edel hatte kleine Hände und Füße und hielt sich darauf mehr zugute als manche Dame bei Hofe.
»Ich hatte nie die Ehre, vor dem König aufzutreten, aber einige der Höhergeborenen in unserer Burg waren zu festlichen Anlässen an den Hof geladen worden. Sie wussten viel von dem schönen jungen Prinzen zu erzählen, von seinen feinen Manieren und seinen dunklen, glänzenden Locken. Und von seinen zierlichen Füßen und wie anmutig er damit zu tanzen verstand.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich wusste gleich, dass König Edel sich nicht in diesem Gemach befand. Der Rest war leicht zu erraten. Die Ankunft der königlichen Garde hier folgte zu schnell auf die Nachricht der sechs toten Soldaten und deiner Flucht. Man hatte es auf dich abgesehen.«
»Möglicherweise.« Allmählich empfand ich Hochachtung vor Merles Scharfsinn. »Erzähl mir mehr von den Schmugglern. Wie hast du von ihnen erfahren?«
Lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Wenn du mit ihnen verhandelst, dann nur über mich. Und wo du hingehst, da werde auch ich hingehen.«
»Welche Schleichwege benutzen sie?«
Sie schaute mich an. »Wenn du ein Schmuggler wärst, würdest du dann anderen deine Geheimnisse auf die Nase binden?« Darauf zuckte sie kurz mit den Schultern. »Ich habe gehört, Schmuggler wüssten eine Möglichkeit, um über den Fluss zu kommen. Es soll eine Brücke geben. Meines Wissens gab es früher einen Handelsweg, der dem Lauf des Flusses folgte, um ihn irgendwo zu überqueren, doch seit den schlimmen Feuern vor ein paar Jahren führt der Kalt jedes Jahr Hochwasser und verändert ständig sein Flussbett, deshalb verlassen die Kaufleute sich jetzt lieber auf Boote statt auf eine Brücke, die vielleicht noch steht oder vielleicht auch nicht.« Merle unterbrach sich und knabberte an ihrem Daumennagel. »Eine Brücke gab es also, aber nachdem sie vier Jahre hintereinander vom Schmelzwasser weggerissen wurde, hat danach niemand mehr Lust gehabt, sie wieder aufzubauen. Aus einer anderen Quelle weiß ich, dass es im Sommer eine Seilfähre gibt und dass man im Winter übers Eis gehen kann. Jedenfalls in solchen Wintern, in denen der Fluss zufriert. Vielleicht rechnen sie in diesem Jahr damit. Meine Meinung dazu ist: Wenn man den Handel an einem Ort unterbindet, blüht er an einer anderen Stelle auf. Ich glaube an die Brücke.«
Ich runzelte die Stirn. »Nein. Es muss einen anderen Weg in die Berge geben.«
Merle schien etwas gekränkt zu sein, dass ich an ihr zweifelte. »Hör dich selber um, wenn du willst. Ich wette, du erhältst überall nur die Auskunft, dass man bis zum Frühling warten muss. Womöglich gefällt es dir ja sogar, das in Gesellschaft der Soldaten der königlichen Garde zu tun, denen ebenfalls nichts anderes übrigbleibt. Vielleicht kommt dir aber auch zu Ohren, dass, wenn man unbedingt im Winter in die Berge will, man nicht Blauer See als Ausgangspunkt wählen sollte. Man kann südlich um den See herumgehen. Vom jenseitigen Ufer führen mehrere Fernwege in die Berge, die sogar im Winter passierbar sein sollen.«
»Bis ich dort hinkomme, ist es Frühling. Ich kann mir den Weg sparen und gleich hier warten.«
»Das hat man mir im gleichen Atemzug hinzugefügt«, pflichtete Merle mir selbstgefällig bei.
Ich beugte mich vor und barg den Kopf in den Händen. Komm zu mir. »Gibt es keinen schnellen, einfachen Weg über diesen verfluchten See?«
»Nein. Wenn es einen gäbe, würden die Soldaten nicht immer noch hier herumlungern.«
Also hatte ich keine andere Wahl. »Wo kann ich diese Schmuggler finden?«
Merle grinste breit. »Morgen bringe ich dich zu ihnen.« Sie stand auf und streckte sich. »Aber heute Nacht habe ich noch einen Auftritt in der ›Goldenen Fibel‹. Man hat mir gestern eine Einladung zukommen lassen. Ich habe gehört, die Gäste dort seien überaus großzügig fahrenden Spielleuten gegenüber.« Sie bückte sich, um ihre in einer Schutzhülle verpackte Harfe aufzuheben. Ich stand auf, als sie nach ihrem immer noch feuchten Umhang griff.
»Dann werde ich mich ebenfalls auf den Weg machen.«
»Warum schläfst du nicht hier?«, fragte sie. »Du begibst dich weniger in Gefahr, erkannt zu werden, und hier gibt es erheblich weniger Ungeziefer.« Auf mein zögerndes Gesicht reagierte sie mit einem leichten Lächeln. »Wenn
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