Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
zum Beispiel Creece mit seiner schaurigen Geschichte von den Schafen offenbarte, die unterwegs und des Nachts auf rätselhafte Weise verlorengegangen und spurlos verschwunden sind. Und Tassin, als sie berichtete, wie du ihr Gewalt antun wolltest! Erst da hätte sie bemerkt, dass deine Fingernägel schwarz waren wie die Krallen eines Wolfs und dass deine Augen im Dunkeln glühten.«
»Ich habe nie versucht, ihr Gewalt anzutun!«, stieß ich hervor und senkte rasch den Kopf, als der Schankbursche fragend zu uns herüberschaute.
Merle lehnte sich zurück. »Schon gut, aber so wie sie es unter Heulen und Zähneklappern erzählt hat... Mir sind fast die Tränen gekommen. Sie zeigte dem Gabenkundigen die Narbe von deinen Krallen an ihrer Wange und sagte, sie hätte dir nie und nimmer entkommen können, wäre in einem Kräuterbusch in der Nähe nicht Wolfstot gewachsen.«
»Das hört sich an, als solltest du dich Tassin an die Fersen heften, wenn du es auf ein Lied abgesehen hast.«
»Aber die Schauergeschichte, die ich ihnen aufgetischt habe, war sogar noch besser...« Sie unterbrach sich, weil der Schankbursche herankam und deutete ihm mit einem Kopfschütteln an, dass wir keine Wünsche hatten. Dann schob sie den Teller zurück und schaute sich in der gut besetzten Gaststube um. »Meine Kammer ist oben«, meinte sie. »Dort können wir ungestört reden.«
Diese zweite Mahlzeit hatte mich endlich gesättigt. Doch der volle Bauch und die Wärme machten mich schläfrig. Ich bemühte mich, meine Gedanken zu bündeln. Wer immer diese Schmuggler sein mochten, sie waren womöglich meine einzige Hoffnung, vor dem Frühling in die Berge zu gelangen. Sie waren der einzige Hoffnungsschimmer. Dann nickte ich ihr zu. Merle stand auf, und ich folgte ihr mit meinem Tragekorb.
Die Kammer oben war reinlich und warm. Es gab ein richtiges Bett mit einer Federmatratze und sauberen Wolldecken; Kanne und Waschschüssel standen auf einem kleinen Gestell daneben. Merle zündete Kerzen an und winkte mich herein. Während sie den Riegel vorschob, ließ ich mich auf den einzigen Stuhl sinken. Seltsam, dass eine schlichte, saubere Kammer mir plötzlich vorkam wie ein Palast. Merle setzte sich auf das Bett.
»Wenn ich mich recht erinnere, dann hattest du einmal gesagt, dein Beutel wäre so schmal wie meiner.« Ich schaute sie an. »Wie bist du nun plötzlich zu Reichtum gekommen?«
»Nicht gerade zu Reichtum, aber hier in Blauer See ist meine Kunst ziemlich gefragt. Und seit man die toten Soldaten gefunden hat, ist alles noch besser geworden.«
»Wie kommt das?«, fragte ich kalt.
»Ich bin fahrende Musikantin«, erklärte sie. »Und ich war dabei, als der Bastard ergriffen wurde. Hältst du mich denn für so schlecht, dass mein Vortrag nicht ein oder zwei Münzen wert wäre?«
»Aha, ich verstehe.« Ich überlegte. »Dann habe ich dir meine rotglühenden Augen und die Reißzähne zu verdanken?«
Sie schnalzte geringschätzig mit der Zunge. »Wie kannst du das von mir glauben? Irgendein billiger Straßensänger hat sich das ausgedacht.« Sie lächelte in sich hinein. »Doch ich gebe zu, das eine oder andere doch ein wenig ausgeschmückt zu haben. In meiner Version war Chivalrics Bastard ein Hüne und kämpfte wie ein wilder Stier, obwohl ihm König Edels Schwert an seinem Arm tiefe Wunden schlug. Und über dem linken Auge hatte er eine weiße Strähne im Haar, so breit wie die Hand eines Mannes. Drei Soldaten waren nötig, um ihn zu halten, und er hörte nicht auf, sich zu wehren, auch nicht, als der Hauptmann ihm mit einem Fausthieb drei Vorderzähne ausschlug.« Sie schwieg und wartete. Als ich nichts sagte, räusperte sie sich. »Du solltest mir dankbar sein. Immerhin habe ich dafür gesorgt, dass man dich auf der Straße nicht mehr so leicht erkennt.«
»Vielen Dank also. Was haben Creece und Tassin dazu gesagt?«
»Sie nickten die ganze Zeit. Durch meine Geschichte bekamen ihre Erzählungen noch mehr Glanz.«
»Mag sein. Aber du hast mir immer noch nicht gesagt, woher du wusstest, dass man mir eine Falle stellt.«
»Sie haben uns Geld angeboten. Für Hinweise, die ihnen helfen, dich zu finden. Creece erkundigte sich nach der Höhe der Summe. Man hatte uns für diese Befragung nach oben in des Königs eigenes Wohngemach gebracht - wohl damit wir uns wichtiger vorkamen. Es hieß, der König sei nach der langen Reise erschöpft und habe sich nebenan zur Ruhe begeben. Wir sahen einen Diener herauskommen, der des Königs Reitmantel
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