Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
dich nicht auf den ersten Blick wiedererkennen. Gut, gut. Ich werde dir helfen. Setz dich auf den Stuhl. Nein, erst mach die Fensterläden auf, damit wir ein wenig mehr Licht haben.«
Ich tat, was sie sagte, wenn auch ohne rechte Begeisterung. Derweil stand sie auf, reckte sich wie eine Katze und spritzte sich ein, zwei Handvoll Wasser ins Gesicht. Anschließend brachte sie mit geübten Griffen ihr eigenes Haar in Ordnung und steckte es mit Kämmen fest. Dann bändigte sie mit einem Gürtel das weite Hemd, schlüpfte in die Stiefel und schnürte sie zu. In erstaunlich kurzer Zeit sah sie vorzeigbar aus. Sie kam zu mir, umfasste mit einer Hand mein Kinn und drehte ohne jede Scheu mein Gesicht hin und her. Ich konnte bei weitem nicht so lässig sein wie sie.
»Wirst du immer so leicht rot?«, fragte sie mich mit einem Lachen. »Das gibt es selten - ein Mann aus Bock, bei dem man sehen kann, wie ihm das Blut in die Wangen steigt. Deine Mutter muss helle Haut gehabt haben.«
Darauf wusste ich nichts zu sagen, deshalb saß ich schweigend da, während sie in ihrem Gepäck kramte und endlich eine kleine Schere zutage förderte, mit der sie sich flink und energisch ans Werk machte. »Ich habe früher meinen Brüdern die Haare geschnitten«, erzählte sie munter, »und meinem Vater das Haar und den Bart gestutzt, nachdem meine Mutter gestorben war. Du hast ein gut geformtes Kinn unter all diesem Gestrüpp. Was hast du damit gemacht? Es einfach so wachsen lassen?«
»Mehr oder weniger«, antwortete ich nervös. Die Schere blitzte dicht unter meiner Nase auf. Merle hielt inne und bürstete kurz über meinen Kopf. Schwarzes, krauses Haar fiel büschelweise zu Boden. »Ich will nicht, dass man meine Narbe sieht«, warnte ich sie.
»Wird man nicht«, beruhigte sie mich sachkundig. »Aber wenn ich diesen Wildwuchs beseitigt habe, dann wird man unter deinem Schnurrbart wieder Lippen und einen Mund erkennen können. Das Kinn anheben. So. Hast du ein Rasiermesser?«
»Nur das Messer an meinem Gürtel.« Mir war alles andere als wohl in meiner Haut.
»Dann müssen wir uns eben damit behelfen«, meinte sie unverdrossen. Sie ging zur Tür, riss sie auf und schrie mit der ganzen Kraft ihrer geschulten Lungen die Treppe hinunter, man solle heißes Wasser bringen. Und Tee. Und Brot mit gebratenem Speck. Der Knall, mit dem die Tür dann wieder ins Schloss flog, wurde in der Küche unten vermutlich als Ausrufungszeichen gedeutet. Merle drehte sich voller Tatendrang herum, neigte ein wenig den Kopf zur Seite und musterte mich kritisch. »Wenn wir schon dabei sind, schneiden wir auch dein Haar. Lass sehen.«
Ich reagierte ihr jedoch zu langsam. So trat sie schnell hinter mich, zog mir das Tuch vom Kopf, befreite mein Haar von dem Lederband und griff nach ihrem Kamm. »Schaun wir mal«, murmelte sie vor sich hin, während ich mit zusammengebissenen Zähnen ihr ruppiges Striegeln ertrug.
»Was schlägst du mir denn vor?«, erkundigte ich mich, woraufhin ich aus den Augenwinkeln sogleich dicke Haarsträhnen zu Boden fallen sah. Was immer sie entschieden hatte, es wurde ruckzuck in die Tat umgesetzt. Sie strich einige lange Haarsträhnen nach vorn in mein Gesicht und schnitt sie über den Augenbrauen in einer geraden Linie ab. Anschließend zog sie einige Male den Kamm durch die übrige Mähne, um sie dann auf Kinnlänge zurückzustutzen. »Wunderbar«, lobte sie mich, »jetzt siehst du ein bisschen mehr nach Farrow aus. Vorher konnte man dir deine Herkunft aus Bock auf eine Meile Entfernung ansehen. Solange du nicht den Mund aufmachst, werden die Leute nicht genau erkennen können, woher du kommst.« Sie überlegte einen Augenblick, dann machte sie sich noch einmal an meinem Stirnhaar zu schaffen. Endlich legte sie die Schere beiseite und reichte mir einen Spiegel. »Die weiße Strähne wird jetzt viel weniger auffallen.«
Sie hatte Recht. Sie hatte das Weiß der Strähne sehr geschickt ausgedünnt und das Haar am Scheitel so abgestuft, dass es die lichteren Stellen verdeckte. Der Bart war gut in Form gebracht und folgte den Konturen meiner Kieferpartie. Ich konnte mir ein anerkennendes Kopfnicken nicht verkneifen. Es klopfte an der Tür. »Stell alles draußen hin«, rief Merle. Sie wartete einen Augenblick, dann holte sie ihr Frühstück herein und den Krug mit heißem Wasser. Während sie ihre Morgentoilette erledigte und frühstückte, befolgte ich ihren Rat und schärfte mein Messer, während ich gleichzeitig überlegte, ob ich mich
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