Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
versetzten mir immer noch einen Stich. Merle und Nik standen beisammen und plauderten, bis der ganze Trupp zum Aufbruch bereit war, dann bestieg Merle ihre kleine Rappstute und setzte sich neben Nik an die Spitze des Wagenzugs. Ich sagte mir, dass Nik Felsenfest ohnehin einen besseren Stoff für eine Ballade abgab als FitzChivalric. Falls es ihm gelang, Merle zu überreden, an der Grenze zum Bergreich mit ihm umzukehren, erwies er mir sogar einen großen Gefallen.
Ich richtete meine Gedanken auf die Arbeit, die ich zu tun hatte. Anspruchsvoll war sie nicht, eigentlich kam es nur darauf an, die Stute ab und zu etwas zu ermuntern, damit sie nicht zu weit hinter dem Pilgerwagen zurückblieb. Daneben hatte ich Zeit genug, mir die Gegend anzusehen, durch die wir fuhren. Wir waren auf die kaum befahrene Straße von gestern zurückgekehrt und folgten ihr weiter flussaufwärts. Ein schmaler Streifen Bäume säumte das Ufer, und dahinter erstreckte sich welliges, nur mit Büschen und Gestrüpp bewachsenes Terrain. Abflussrinnen und kleinere Gräben führten quer über unsere Straße zum Fluss. Zu irgendeiner Zeit schien es hier also reichlich Wasser gegeben zu haben, vielleicht im Frühjahr, aber nun war das Land trocken, bis auf den Pulverschnee, der in Schneeböen darüber hinwegstäubte wie Sand.
»Gestern hast du wegen der fahrenden Musikantin in dich hineingelächelt. Wem gilt dein Stirnrunzeln heute?«, fragte Krähe ruhig.
»Ich dachte, wie schade es um diesen einst fruchtbaren Landstrich ist.«
»Tatsächlich?«
»Erzähl mir von deinem Propheten«, forderte ich sie auf, hauptsächlich, um das Thema zu wechseln.
»Er ist nicht mein Prophet«, wies sie mich schroff zurecht, doch sie lenkte sofort wieder ein. »Wahrscheinlich stellt sich heraus, dass meine Reise vergeblich ist und dass ich ihn, den ich suche, nicht finde. Dennoch, was könnte ich auf die alten Tage Besseres anfangen, als einem Hirngespinst nachzujagen?«
Ich schwieg. Nur so konnte ich bei ihr offenbar nichts falsch machen. »Weißt du, was ich in diesem Karren habe, Tom? Bücher, Schriftrollen und andere Aufzeichnungen, die ich aus vielen Ländern zusammengetragen habe. Es sind Aufzeichnungen in mannigfaltigen Sprachen und Alphabeten. Und bei allen Völkern und Kulturen fand ich Hinweise auf die Weißen Propheten. Sie erscheinen an den Kreuzwegen der Geschichte und formen sie. Merkwürdigerweise wird ihr Erscheinen nie vorhergesagt. An manchen Stellen heißt es, sie kommen, um dafür zu sorgen, dass die Geschichte den rechten Lauf nimmt. Es gibt Menschen, Tom, die glauben, dass die Zeit ein Kreis ist. Die gesamte Geschichte ein großes Rad, das sich unablässig dreht. Wie die Jahreszeiten kommen und gehen, wie der Mond in Ewigkeit seine Bahn zieht, so auch die Zeit. Dieselben Schlachten werden geschlagen, dieselben Seuchen wüten, und immer wieder gelangen auch dieselben Menschen, ob gut oder böse, an die Macht. Die Menschheit ist an dieses Rad gefesselt und dazu verurteilt, ständig die alten Fehler zu wiederholen - es sei denn, es kommt jemand, um es zu ändern. Weit im Süden liegt ein Land, dessen Bewohner glauben, dass es für jede Generation irgendwo auf dieser Welt einen Weißen Propheten gibt. Er oder sie kommt zu dem auserwählten Volk, und wenn seine Lehren und Mahnungen befolgt werden, tritt die Welt in einen besseren Zyklus ein. Werden sie aber ignoriert, dann gerät die Zeit auf einen dunkleren Pfad.«
Sie schwieg, wie um mir Gelegenheit zu geben, etwas zu sagen. »Von solchen Dingen verstehe ich nichts«, gestand ich.
»Das erwarte ich auch nicht. An einem sehr fernen Ort habe ich diese Philosophie studiert. Und diese Lehre besagt zudem: Wenn die Propheten missachtet werden, nicht nur einmal, sondern viele Male, dann wird die Welt immer schlechter werden, bis irgendwann in Hunderttausenden von Jahren der gesamte Zyklus der Zeit zu einer ununterbrochenen Folge von Elend und Leid geworden ist.«
»Und wenn man auf die Propheten hört?«
»Jeder von ihnen, der von den Menschen erhört wird, ebnet den Weg für den nächsten. Und wenn in einem vollständigen Zyklus jeder Prophet Gehör findet, wird die Zeit stehenbleiben.«
»Also streben sie danach, das Ende der Welt herbeizuführen?«
»Nicht das Ende der Welt, Tom. Das Ende der Zeit. Ihr Ziel ist es, die Menschheit vom Joch der Zeit zu befreien. Zeit, die uns altern lässt, Zeit, die uns Grenzen setzt. Wie oft hast du dir gewünscht, mehr Zeit für etwas zu haben, oder wärst
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