Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
die Länder jenseits der Berge, dort meinen König zu suchen und ihm zu helfen, seinen Thron zurückzugewinnen. Damit er die Roten Korsaren von unserer Küste vertreibt und uns endlich wieder Frieden bringt.«
Einen Augenblick herrschte tiefe Stille; dann schnaubte Merle leise auf. »Tu nur die Hälfte von dem, was du sagst, und ich habe mein Heldenlied.«
»Ich möchte gar kein Held sein. Ich tue nur, was ich tun muss, um endlich mein eigenes Leben leben zu können.«
»Armer Fitz. Keiner von uns hat jemals die Freiheit, das zu tun.«
»Du scheinst mir ziemlich frei zu sein.«
»Wirklich? Mir kommt es vor, als geriete ich mit jedem Schritt tiefer in einen Sumpf, und je mehr ich dagegen ankämpfe, desto unentrinnbarer bin ich gefangen.«
»Das verstehe ich nicht.«
Sie stieß ein ersticktes Lachen aus. »Sieh dich doch um. Hier bin ich, schlafe im Stroh und singe für mein Abendessen, in der Hoffnung, dass wir irgendwann den Fluss überqueren und in die Berge gelangen. Und wenn ich all die Strapazen überstanden habe, bin ich dann etwa am Ziel? Nein. Ich muss mich an deine Fersen heften, bis du etwas vollbringst, das sich in einem Lied zu verewigen lohnt.«
»Aber was zwingt dich dazu?«, fragte ich, wobei ich von dieser Aussicht nicht eben angetan war. »Du könntest weiterleben wie bisher und als fahrende Musikantin deinen Weg machen. Allem Anschein nach bist du sehr erfolgreich.«
»Erfolgreich. Eine Vagantin wie mich nennst du erfolgreich? Du hast mich singen hören, Fitz. Ich habe eine recht gute Stimme und flinke Finger, aber ich bin nicht so außergewöhnlich gut, um in einer Burg einen festen Platz gewinnen zu können. Wenn es in ein paar Jahren überhaupt noch solche Burgen gibt. Ich habe keine Lust, vor einem Publikum aus lauter Roten Korsaren zu singen.«
Eine Zeitlang schwiegen wir, wobei jeder in seine eigenen Gedanken versunken war.
»Weißt du«, fuhr sie nach einer Weile fort, »ich habe niemanden mehr. Meine Eltern und mein Bruder sind tot. Mein alter Lehrer: tot, Lord Bronze: tot, - Lord Bronze, der immer freundlich zu mir war, wenn auch vor allem meinem Lehrer zuliebe. Alle sind in den Flammen umgekommen, als die Burg gebrandschatzt wurde. Die Korsaren hielten mich für tot und ließen mich liegen, sonst wäre ich auch nicht mehr am Leben.« Erstmals bemerkte ich in ihrer Stimme den Unterton einer alten und anhaltenden Furcht. Sie sprach nicht weiter und dachte wohl an all das, was sie nicht preisgeben wollte. Ich drehte mich zu ihr herum. »Ich kann mich nur auf mich selbst verlassen. Das ist so und das wird so bleiben. Nur auf mich selbst. Und irgendwann ist für jeden fahrenden Musikanten die Zeit vorüber, in der er einfach so umherziehen und in Wirtshäusern für Geld singen kann. Wenn du es also auf deine alten Tage behaglich haben willst, musst du dir einen Platz in einer Burg ergattern. Dazu brauche ich ein wahrhaft großes Lied, Fitz. Und ich habe nicht mehr ewig lange Zeit, um es zu finden.« Ihre Stimme klang weicher, als sie hinzufügte: »Und genau deshalb werde ich dir folgen. Denn du scheinst bedeutende Ereignisse geradezu anzuziehen.«
»Bedeutende Ereignisse?«, spottete ich.
Sie schob sich dichter an mich heran. »Bedeutende Ereignisse. Ja. - Die Abdankung von Prinz Chivalric als Thronfolger. Der Sieg über die Roten Korsaren auf der Geweihinsel. Und warst du es nicht, der Königin Kettricken rettete, als sie damals während der Fuchsjagd von Entfremdeten überfallen wurde, kurz bevor sie als Kriegerkönigin selbst zur Jagd blies? Also, das ist ein Lied, von dem ich gerne hätte, dass es aus meiner Feder stammte. Ganz zu schweigen von dem Aufruhr in der Nacht von Prinz Edels Krönung. Ja, und was haben wir denn da noch? Von den Toten auferstanden, ein Mordanschlag auf König Edel, und das mitten in seiner Residenz Burg Fierant, und dann die unbeschadete Flucht. Später dann noch die Ermordung von einem halbes Dutzend seiner Elitesoldaten, obwohl die Hände und Füße in Ketten lagen... Mir war gleich so, als ob ich dir an jenem Tag hätte folgen sollen. Aber ich bin sicher, ich habe immer noch gute Aussichten, auf meine Kosten zu kommen, wenn ich dir von jetzt an nicht mehr von der Seite weiche.«
Aus diesem Blickwinkel hatte ich die Ereignisse, die sie ganz auf ihre Art aufzählte, noch nie betrachtet. Ich wollte einwenden, dass diese Ereignisse nicht von mir ausgelöst wurden, sondern dass ich ohne mein Zutun in das Räderwerk der Geschichte geraten war... - aber
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