Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
auch mein Leben. Die Verflechtung unserer Handlungen war meine ganze Lebensberechtigung. Schlimmer als das, ich begann an all dem zu zweifeln. War ich ein Weißer Prophet oder war es eine bizarre Art von geistiger Verwirrung, eine Selbsttäuschung, um mich über meine Missgeburt hinwegzutrösten? Ein Jahr, Fitz, ein ganzes Jahr. Ich trauerte um den Freund, den ich verloren hatte, und ich trauerte um die Welt, die durch mich einem Ende mit Schrecken entgegensah. Und ich sah darin all meine Schuld, all mein Versagen. Und als dann Kettrickens Kind, meine letzte Hoffnung, leblos und blau zur Welt kam, was konnte dies anders sein als ebenfalls mein Verschulden?«
»Nein!« Es brach aus mir heraus, auch wenn es nur wie ein Stöhnen über meine Lippen kam. Der Narr zuckte zusammen, als hätte ich ihn geschlagen. Dann: »Ja«, sagte er und griff behutsam wieder nach meiner Hand. »Es tut mir leid. Ich hätte daran denken sollen, dass du es nicht weißt. Die Königin war untröstlich über den Verlust, so wie auch ich. Der Erbe der Weitseher: tot. Meine letzte Hoffnung war zerstört. Ich hatte mich zuvor damit getröstet und mir gesagt, nun, wenn das Kind wirklich leben und den Thron besteigen sollte, dann wäre das vielleicht genug. Doch als ihre schwere Stunde kam und sie unter Schmerzen nur ein totes Kind aus ihrem Schoß gebar... Ich hatte das Gefühl, als wäre mein ganzes Leben eine Farce gewesen, ein Schwindel, ein böser Scherz des Schicksals. Aber nun...« Er schloss für einen Augenblick selig die Augen. »Nun sehe ich, dass du lebst. Also lebe auch ich wieder. Und glaube daran. Ich weiß wieder, wer ich bin. Und wer mein Wandler ist.« Er lachte laut, ohne zu ahnen, wie mir bei seinen Worten buchstäblich das Blut gefror. »Ich hatte kein Vertrauen. Ich, der Weiße Prophet, glaubte nicht an meine eigenen Prophezeiungen! Aber hier sind wir, Fitz, und alles wird sich fügen, wie es bestimmt war.«
Wieder füllte er seinen Becher. Die Flüssigkeit, die aus dem Flaschenhals strömte, hatte die Farbe seiner Augen. Er bemerkte meinen Blick und grinste schelmisch. »Du denkst wohl, oha, der Weiße Prophet ist nicht mehr weiß? Ich vermute, das ist die Eigenheit meines Volkes. Wahrscheinlich werde ich im Laufe der Jahre immer mehr Farbe annehmen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber das ist nun unwichtig. Ich habe schon zu viel geredet. Erzähl mir, Fitz, erzähl mir alles. Wie ist es dir gelungen, aus dem Grab zurückzukehren? Weshalb bist du hier?«
»Veritas ruft mich. Ich muss zu ihm gehen.«
Die Brust des Narren weitete sich mit einem tiefen Atemzug, als sauge er neues Leben in sich auf. Er strahlte beinahe vor Freude. »Dann lebt er also!« Bevor ich weitersprechen konnte, hob er beschwichtigend beide Hände. »Langsam. Langsam und alles der Reihe nach. Erzähl mir alles ganz genau, denn das ist es, worauf ich so lange gewartet habe. Ich muss alles wissen.«
Ich gab mir alle Mühe, doch meine Kräfte schwanden rasch dahin, und manchmal verwirrte auch das Fieber meine Gedanken, so dass ich den Faden verlor und nicht mehr wusste, wo ich in meinem Bericht von den Ereignissen des zurückliegenden Jahres abgeschweift war. Dagegen konnte ich über meine Leidenszeit in Edels Kerker nicht sprechen. Dazu sagte ich nur: »Er ließ mich schlagen und hungern.« Die flüchtige Reaktion des Narren und sein Blick zur Seite sagten mir, dass er es verstand. Auch er hatte seine Erfahrungen mit Edel gemacht. Als er sichtlich darauf wartete, dass ich mit meinem Bericht fortfuhr, bewegte ich meinem Kopf auf dem Kissen nur noch zu einem Nein.
Er nickte mir verständnisvoll zu, dann setzte er ein Lächeln auf. »Schon gut, Fitz. Du bist müde. Nun, da mein erster Wissensdurst gestillt ist, kann der Rest ruhig warten. Ich werde dir nun berichten, was während meines Jahres alles geschehen ist.« Ich bemühte mich, ihm aufmerksam zuzuhören, griff mir das Wichtigste heraus und bewahrte es in meinem Herzen. Endlich erhielt ich die Antwort auf Fragen, an denen ich lange herumgerätselt hatte. Edel hatte unsere Flucht geahnt. Als Kettricken in ihre Gemächer zurückgekehrt war, hatte sie festgestellt, dass ihre sorgfältig vorbereitete und verpackte Ausrüstung für die Reise verschwunden war - heimlich weggeschafft von Edels Spionen. Sie hatte Bocksburg mit wenig mehr als den Kleidern verlassen, die sie am Leib trug. Ich erfuhr von dem schlechten Wetter in der Nacht ihrer Flucht. Sie hatte meine Stute Rußflocke geritten,
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