Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
was?«
»Dreiunddreißig ›Es tut mir leids‹. Zwar an verschiedene Leute gerichtet, aber die meisten galten doch mir. Dann noch siebzehn Rufe nach Burrich. Wie viele nach Molly, das weiß ich nicht, denn irgendwann habe ich aufgehört zu zählen. Schließlich summa summarum zweiundsechzigmal ›Ich komme, Veritas‹.«
»Ich muss dich wirklich zum Wahnsinn treiben. Es tut mir leid.«
»Vierunddreißig. Nein. Du hast gerade nur fantasiert, allerdings wenig fantasievoll. Es liegt wahrscheinlich am Fieber.«
»Wahrscheinlich.«
Der Narr widmete sich wieder seiner Lektüre.
»Ich habe es satt, auf dem Bauch zu liegen«, beschwerte ich mich nach einer Weile.
»Versuch’s doch mal auf dem Rücken.« Nachdem er sich diese kleine Genugtuung gegönnt hatte, fragte er: »Soll ich dir helfen, dich auf die Seite zu drehen?«
»Nein. Das tut noch mehr weh.«
»Sag mir Bescheid, wenn du deine Meinung änderst.« Seine Augen wanderten weiter die Zeilen der Schriftrolle entlang.
»Chade hat mich nicht wieder besucht«, wagte ich einen erneuten Vorstoß.
Der Narr seufzte und legte die Rolle zur Seite. »Keiner von ihnen ist wiedergekommen. Nur die Heilerin war hier und hat uns eine gehörige Standpauke gehalten, was uns denn einfiele, dich so in helle Aufregung zu versetzen. Für dich sei strikte Ruhe angesagt. Niemand darf dich besuchen, bis sie dir den Pfeil herausgeschnitten hat. Dieser große Tag ist übrigens morgen. Außerdem hatten Chade und die Königin viel zu beratschlagen. Beide Totgeglaubten noch unter den Lebenden zu wissen, das hat für sie so ziemlich alles verändert.«
»Früher hätte er mich mit einbezogen.« Ich wusste, dass ich mich in Selbstmitleid suhlte, aber die Worte strömten einfach aus mir heraus. »Bestimmt haben sie das Gefühl, man könnte mir nicht mehr trauen. Und ich kann es ihnen nicht verübeln. Alle hassen mich jetzt. Wegen meiner Geheimnistuerei. Weil ich sie in so vieler Hinsicht enttäuscht habe.«
»Oh nein, nicht alle hassen dich«, meinte der Narr beschwichtigend. »Genaugenommen eigentlich nur ich.«
Mein Blick schoss zu seinem Gesicht. Doch das süffisante Lächeln um seinen Mund beruhigte mich. »Geheimnisse«, sagte er und seufzte laut auf. »Eines Tages werde ich eine lange philosophische Abhandlung über die Macht von Geheimnissen verfassen, ob sie nun verraten oder im Innersten bewahrt wurden.«
»Hast du noch einen Schluck Branntwein?«
»Schon wieder durstig? Trink doch einen Schluck Weidenrindentee.« Seine Stimme klang honigsüß. »Davon haben wir jede Menge, nein, davon haben wir gar eimerweise. Und alles für dich.«
»Ich glaube, mein Fieber ist schon gesunken«, wehrte ich hastig ab.
Er legte mir prüfend die Hand auf die Stirn. »Tatsächlich. Vorübergehend wenigstens. Aber ich glaube nicht, dass es im Sinne der Heilerin wäre, dass du dich nun sofort betrinkst.«
»Die Heilerin ist nicht hier.«
Der Narr zog eine Augenbraue in die Höhe. »Burrich wäre ungemein stolz auf dich.« Doch er stand auf und ging zum Schrank. Dabei machte er einen respektvollen Bogen um Nachtauge, der vollgefressen und betäubt von der behaglichen Wärme vor dem Herd schlief. Mein Blick wanderte zu dem ausgebesserten Fenster und dann zurück zu dem Narren. Es schien, als ob er und der Wolf ein Übereinkommen getroffen hatten. Nachtauges Schlummer war so tief, dass er nicht einmal zu träumen schien. Als ich nach ihm spürte, zuckten seine Pfoten, weshalb ich mich gleich wieder zurückzog. Der Narr stellte die Flasche und zwei Becher auf ein Tablett. Er wirkte ungewöhnlich schweigsam.
»Es tut mir leid.«
»Das hast du mir bereits gesagt. Fünfunddreißigmal.«
»Aber es stimmt. Ich hätte dir von meiner Tochter erzählen sollen.« Da bemerkte ich, dass nichts, kein Fieber, kein Pfeil in meinem Rücken, mich davon abhalten konnte, bei diesen Worte zu lächeln: meine Tochter. Als ich weiterredete, merkte ich beschämt, wie ungewohnt es für mich war, einfach nur die Wahrheit zu sagen. »Ich habe sie noch nie gesehen, musst du wissen. Nur mit der Gabe, aber das ist nicht dasselbe. Und ich will, dass sie zu mir gehört, nur zu mir und Molly. Sie soll nicht der Besitz eines ganzen Königreichs sein, ihre Kindheit und Jugend soll nicht von der ungeheuren Verantwortung überschattet sein, die man ihr dann eines Tages aufbürden wird. Sie soll einfach nur ein kleines Mädchen sein, das Blumen pflückt und Kränze windet und...« Ich wusste nicht mehr weiter. »Was normale
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