Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Fuß vor Fuß setzen, um dem magischen Strom entgegenzugehen.
Ich wusste nicht, woher ich die Stärke nahm, der Verlockung zu widerstehen. Vielleicht half mir, dass ich innegehalten und mich ganz auf Veritas konzentriert hatte. Ich hatte begriffen, dass die gesamte Welt daran verlieren würde, wenn er aufhörte, als Individuum zu existieren. Was immer die Quelle meiner Kraft auch sein mochte, ich bot sie gegen ihn auf. Ich warf mich ihm in den Weg, doch er ging einfach durch mich hindurch. An diesem Ort war ich ohne Substanz. »Veritas! Bleib stehen, warte!« Ich stürzte mich wütend auf ihn, konnte ihn aber nicht festhalten, nicht einmal berühren.
»Jemand muss es tun«, sagte er bestimmt. Eine Schrittfolge später fügte er hinzu: »Eine Weile hatte ich gehofft, es bliebe mir erspart, doch dann stellte sich mir immer und immer wieder die Frage: ›Wer sonst?‹« Er wandte mir das Gesicht zu und sah mich mit erloschenen Augen an. »Nie habe ich eine andere Antwort auf meine Frage erhalten. So ist es mir auferlegt.«
»Veritas, bleib stehen«, flehte ich, doch er ging entschlossen weiter, um sein Ziel früher oder später zu erreichen.
Ich dagegen wurde schwächer. Einen Augenblick lang fürchtete ich sogar, ihn zu verlieren, weil mein schlafender Körper mich zurückverlangte; doch dann tat sich in mir eine ganz andere, ebenso starke Furcht auf. Ich war schon so lange mit ihm verbunden, und das so eng, dass die Gefahr bestand, in dieser magischen Flut neben ihm zu ertrinken. Hätte ich in diesem Reich einen Körper gehabt, hätte ich wahrscheinlich nach etwas gegriffen, um mich festzuhalten. So aber nutzte ich die einzige Möglichkeit, die mir blieb, um nicht von dem, den ich retten wollte, mit ins Verderben gerissen zu werden. Ich griff mit der Gabe hinaus nach den Menschen, deren Leben das meine berührte: Molly, meine Tochter, Chade und der Narr, Burrich und Kettricken. Weil ich keine echte Gabenverbindung mit einem von ihnen hatte, war der Halt jedoch nur schwach und wurde zusätzlich durch meine panische Angst beeinträchtigt, dass schon im nächsten Augenblick Will, Carrod oder auch Burl auf mich aufmerksam werden konnten. Dennoch kam es mir vor, als verlangsamte sich Veritas’ Schritt.
»Bitte warte«, flehte ich erneut.
»Nein«, antwortete er ruhig. »Versuch nicht, mich davon abzubringen, Fitz. Ich muss es tun.«
Ich hatte nie daran gedacht, mich in der Gabe mit Veritas zu messen. Nie wäre mir der Gedanke gekommen, wir könnten uns einmal als Gegner gegenüberstehen. Doch während ich ihn aufzuhalten versuchte, fühlte ich mich mehr und mehr wie ein Kind, das sich zappelnd und mit trommelnden Fäusten gegen den Vater sträubt, der es davon unbeeindruckt ins Bett verfrachtet. Veritas ignorierte meine Attacke nicht nur, sondern ich spürte zugleich, wie sein Wille und seine ganze Wahrnehmung auf etwas ganz anderes gerichtet waren. Er näherte sich unaufhaltsam dem schwarzen Strom, und mein körperloses Bewusstsein zog er mit sich. Der reine Selbsterhaltungstrieb verlieh meinen Bemühungen weiteren Nachdruck. Doch sosehr ich mich bemühte ihn abzudrängen oder aufzuhalten, alles war vergebens.
Vielleicht lag es daran, dass mich noch etwas anderes bewegte als nur der Wunsch, Veritas zu retten. Insgeheim wollte ich wohl doch, dass er die Oberhand behielt. Wenn er der Stärkere blieb und mich mit hinunterzog, dann war ich jeder Verantwortung enthoben. Ich konnte mich der Macht öffnen und ergeben. Es wäre das Ende aller Qualen und die Erlösung. Ich war der Selbstzweifel und der Schuld so müde, so überdrüssig der Pflichten und Verpflichtungen. Falls Veritas sich mit mir in den Strom der Gabe stürzte, konnte ich endlich den Kampf ohne Scham beenden.
Irgendwann standen wir am Rand des schillernden Stroms der Macht. Ich betrachtete ihn mit Veritas’ Augen. Es gab kein Ufer, nur eine messerscharfe Kante, wo fester Boden und fließende Andersartigkeit sich trennten. Ich sah es als etwas Fremdes an, als eine schreckliche Verkrümmung der fundamentalen Strukturen unserer Welt. Schwerfällig sank Veritas auf ein Knie nieder und ließ den Blick in den schillernd schwarzen Strom tauchen. Ich wusste nicht, ob er nur zögerte, um Lebewohl zu sagen, oder ob er vor dem entscheidenden Schritt noch einmal Kraft sammelte. Mein Widerstandswille war gebrochen. Dies hier war die Schwelle zu gefährlichen Wundern, die sich meiner Vorstellungskraft völlig entzogen. Vor lauter Hunger und Neugier beugten wir
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