Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
schwarz. Veritas war verschwunden und das Licht der Erkenntnis mit ihm. Doch für einen kurzen Augenblick hatte ich das Ganze gesehen. Jetzt schwebte ich allein in der Dunkelheit, und mein Selbst war so geschrumpft und winzig, dass ich nur existieren konnte, wenn ich mich mit aller Gewalt daran festklammerte. Was ich dann auch tat.
Wie aus weiter Entfernung hörte ich Merle angstvoll rufen: »Was fehlt ihm?« Und Chade erwiderte schroff »Das ist nur ein Anfall, wie er sie von Zeit zu Zeit bekommt. Sein Kopf, haltet seinen Kopf fest, oder er wird sich den Schädel einschlagen.« Wie durch dicken Stoff hindurch fühlte ich Hände nach mir greifen und mich festhalten. Ich überließ mich ihnen und der Dunkelheit. Etwas später kam ich für einen Augenblick zu mir. Erinnern kann ich mich dabei an fast nichts. Der Narr stützte meinen Oberkörper und meinen Kopf, so dass ich aus der Tasse trinken konnte, die mir ein besorgter Chade an die Lippen hielt. Merle stand mit riesengroßen Augen daneben, wirkte wie ein erschrecktes Reh und wagte nicht, mich zu berühren. »Das sollte ihn wieder auf die Beine bringen«, hörte ich Chade noch sagen, bevor ich erneut in einen tiefen Schlaf versank.
Am nächsten Morgen stand ich trotz meiner hämmernden Kopfschmerzen zeitig auf und machte mich auf den Weg zu den Bädern. Ich schlüpfte so leise hinaus, dass der Narr nicht davon aufwachte; aber Nachtauge erhob sich und schlich hinter mir nach draußen.
Wo bist du letzte Nacht hingegangen?, verlangte er zu wissen, doch ich hatte keine Antwort für ihn. Er spürte meine Zurückhaltung und war beleidigt. Ich gehe jetzt auf die Jagd, teilte er mir mit. Dir rate ich, das nächste Mal nur mehr Wasser zu trinken.
Ich stimmte ihm bereitwillig zu, und er verließ mich an der Tür des Badehauses.
Drinnen empfing mich der mineralische Gestank der heißen Quellen, die aus den Tiefen der Erde hervorsprudelten. Sie wurden in großen Becken aufgefangen und durch Rohre zu anderen Bassins geleitet, damit der Badende sich die ihm genehme Temperatur und Tiefe aussuchen konnte. In einer Wanne schrubbte ich mich von Kopf bis Fuß ab und tauchte dann in Wasser, das so heiß war, wie ich es eben noch ertragen konnte. Dabei verdrängte ich den Gedanken an den magischen Strom, der Veritas’ Arm verbrannt hatte. Als ich herausstieg, war ich rot wie ein gekochter Krebs. Am kühlen Ende des Badehauses hingen mehrere Spiegel an der Wand. Ich bemühte mich, mich beim Rasieren nicht direkt anzuschauen, denn für meinen Geschmack hatte es zu viel Ähnlichkeit mit Veritas’ Gesicht. Ich sah zwar weniger ausgemergelt aus als noch vor einer Woche, aber die weiße Strähne über meiner Stirn war nachgewachsen und wirkte doppelt auffällig, sobald ich mein Haar zum Kriegerzopf zurückband. Es hätte mich nicht verwundert, den Abdruck von Veritas’ Hand auf meinem Gesicht zu finden oder zu entdecken, dass meine Narbe verschwunden und meine Nase begradigt war. Es hatte eine ungeheure Macht in seiner Berührung gelegen. Doch Edels Narbe hob sich immer noch bleich von meiner hitzegeröteten Wange ab, und die gebrochene Nase war nach wie vor schief. Äußerlich war mir von den Ereignissen der vergangenen Nacht demnach nichts anzumerken. Wieder und wieder kreisten meine Gedanken um jenen Augenblick der Manifestation reinster Macht. Ich rang darum, ihn wachzurufen, was mir auch fast gelang, aber wie die Empfindungen von Schmerz oder Lust verblasste er doch allzu schnell im Gedächtnis. Ich wusste, ich hatte etwas Außergewöhnliches erfahren. Die Euphorie der Gabe, vor der alle gewarnt werden, die lernen, von ihr Gebrauch zu machen, war nur ein kleiner Funke im Vergleich mit dem lodernden Freudenfeuer aus Wissen, Fühlen und Sein, an dem ich in der vergangenen Nacht teilgehabt hatte.
Das Erlebnis hatte mich verändert. Der Zorn, den ich gegen Kettricken und Chade gehegt hatte, war erloschen. Das Gefühl war noch vorhanden, doch es ergriff nicht mehr von mir Besitz. Ich hatte für einen kurzen Augenblick nicht nur meine Tochter gesehen, sondern unsere gesamte Situation aus allen möglichen Blickwinkeln betrachtet. Sie waren nicht grausam, nicht selbstsüchtig. Sie glaubten, das Richtige zu tun. Ich war anderer Ansicht, doch ich konnte nicht länger die vorausschauende Klugheit ihres Handelns leugnen. Ich fühlte mich wie seelenlos. Sie würden Molly und mir das Kind wegnehmen. Wenn ich auch hasste, was sie taten, die Täter hassen konnte ich nicht.
Kopfschüttelnd
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