Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
davon. Ich folgte ihm, und Merle folgte mir.
»Und wenn sie es erfährt? Wird sie es einfach hinnehmen, dieses... Teilen?«
»Wahrscheinlich nicht.« Warum brachte Merle mich immer dazu, über Dinge nachzudenken, mit denen ich mich lieber nicht auseinandersetzen wollte?
»Was, wenn sie dich zwingt, zwischen ihr und dem Wolf zu wählen?«
Ich blieb abrupt stehen, dann ging ich etwas schneller als zuvor weiter. Die Frage verfolgte mich, aber ich weigerte mich, darüber nachzudenken. Doch in meinem tiefsten Inneren wisperte eine Stimme: »Wenn du Molly die Wahrheit sagst, wird es dazu kommen. Unweigerlich.«
»Du wirst es ihr doch sagen, oder nicht?« Erbarmungslos stellte Merle die eine Frage, vor der ich mich zu verstecken suchte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich grimmig.
»Ach.« Nach einer Weile fügte sie hinzu: »Wenn ein Mann das sagt, heißt es gewöhnlich: ›Nicht heute und nicht morgen, aber irgendwann. Vielleicht.‹«
»Würdest du bitte still sein?« Ich sagte es laut, aber ohne rechten Nachdruck.
Merle folgte mir schweigend. Nach ein paar Schritten bemerkte sie: »Ich weiß nicht, wen ich mehr bedauern soll, dich oder sie.«
»Vielleicht uns alle beide«, schlug ich vor. Ich wollte nichts mehr davon hören.
Der Narr hielt gerade Wache, als wir ins Lager zurückkehrten. Krähe und Kettricken schliefen bereits. »Gute Jagd?«, erkundigte er sich kameradschaftlich, als wir herankamen.
Ich zuckte nur mit den Schultern. Nachtauge lag zu seinen Füßen und verschlang währenddessen mit stillem Vergnügen das zweite Kaninchen. »Gut genug.« Ich hielt das andere Kaninchen hoch. Der Narr nahm es mir ab und hängte es an die Zeltstange.
»Das ist unser Frühstück«, erklärte er gelassen. Sein Blick huschte zu Merles Gesicht, doch falls er bemerkte, dass sie geweint hatte, enthielt er sich einer spöttischen Bemerkung. Ich weiß nicht, was er in meinen Zügen las, denn auch darüber verlor er kein Wort. Merle folgte mir in die Jurte, wo ich die Stiefel von den Füßen zog und mich dankbar auf mein Nachtlager und in die Decken sinken ließ. Als ich spürte, wie sie sich ein paar Atemzüge später an meinen Rücken schmiegte, war ich nicht sonderlich überrascht. Wahrscheinlich sollte die Geste bedeuten, dass sie mir vergeben hatte. Dem Einschlafen war es dennoch nicht förderlich.
Schließlich fand ich doch in den Schlaf. Ich hatte meine Schutzwehren aufgerichtet, aber irgendwie brachte ich einen ganz eigenen Traum zustande. Mir träumte, ich säße an Mollys Bett und wachte über ihren und Nessels Schlaf. Der Wolf lag zu meinen Füßen, und auf einem Stuhl am Kamin saß zufrieden der Narr. Krähes Spieltuch lag auf dem Tisch ausgebreitet; doch statt der Steine standen darauf winzige Statuen verschiedener schwarzer und weißer Drachen. Die roten Figuren waren Schiffe, und ich war am Zug. Ich hielt die Figur in der Hand, mit der ich das Spiel gewinnen konnte, doch ich hatte nur den Wunsch, Molly im Schlaf zu beobachten. Es war beinahe ein friedvoller Traum.
KAPITEL 31
ELFENRINDE
E s existiert eine Anzahl alter ›Weißer Prophezeiungen‹, die Bezug auf den Verrat an dem Wandler nehmen. Colum der Weiße sagt über diesen Vorfall: »Durch seine Liebe verrät er sich und wird seine Liebe verraten.« Ein weniger bekannter Lehrmeister und Prophet, Gant der Weiße, äußert sich genauer: »Das Herz des Wandlers öffnet er einem Freund. Vertrauen wird geschenkt, und Vertrauen wird missbraucht. Das Kind des Wandlers wird in die Hände seines Feindes gegeben, durch einen, dessen Liebe und Treue über jeden Zweifel erhaben sind.« Andere Prophezeiungen sind weniger konkret, doch der Grundtenor aller Weissagungen ist, dass der Wandler von jemandem verraten wird, der sein uneingeschränktes Vertrauen genießt.
Früh am nächsten Morgen, bei einigen Scheiben gegrillten Kaninchenfleischs, zogen Kettricken und ich wieder die Karte zurate. Eigentlich brauchten wir kaum einen Blick darauf zu werfen, denn wir kannten sie beide in- und auswendig; doch es war angenehm, sie zwischen uns liegen zu haben und darauf deuten zu können, während wir die Einzelheiten der nächsten Etappe unserer Reise besprachen. Kettricken fuhr eine verblasste Linie auf dem brüchigen Pergament entlang. »Wir müssen zu dem Pfeiler an dem Kreuzweg zurückkehren und von da aus wieder ein kurzes Stück der Gabenstraße folgen. Das führt uns zu unserem letzten Ziel, so wie es aussieht.«
»Es ist nicht gerade mein größter
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