Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
über die Schwelle. Die festen Mauern aus Lehmziegeln und dicken Balken umgaben einen großen offenen Raum mit niedrigen Wänden, den verschiedenste Gerüche nach Kochdunst, Holzrauch und Schweiß von Hafenarbeitern durchwaberte. In der offenen Herdstelle an einem Ende des Raums schmorte ein stattlicher Braten am Spieß. Die meisten Gäste hatten sich an diesem lauen Sommerabend jedoch in der kühleren Hälfte versammelt, wo die zwei Sängerinnen Stühle auf einen Tisch gestellt hatten und ihre Vorstellung gaben. Ein grauhaariger Mann mit einer Harfe, offenbar Teil ihrer Gruppe, war an einem anderen Tisch damit beschäftigt, an seinem Instrument eine neue Saite aufzuziehen. Nach meiner Einschätzung handelte es sich um eine Vagantentruppe, wahrscheinlich Vater und Töchter. Während ich ihnen zuschaute und dem Gesang lauschte, wanderten meine Gedanken zurück nach Bocksburg und zu dem letzten Mal, als ich Musik gehört und fröhliche Menschen gesehen hatte. Mir war nicht bewusst, dass ich die beiden Sängerinnen unverwandt angaffte, bis ich sah, wie eine von ihnen die andere mehrmals mit dem Ellenbogen anstieß und mit einer unauffälligen Handbewegung zu mir hindeutete. Die andere verdrehte zunächst die Augen, dann erwiderte sie meinen Blick. Ich schlug die Augen nieder und errötete über mein unverschämtes Verhalten.
Als das Lied zu Ende war, klatschte ich wie alle anderen Beifall. Der Mann mit der Harfe hatte sein Instrument inzwischen neu gestimmt, und er leitete über in eine getragenere Melodie, die im Rhythmus stetiger Ruderschläge gehalten war. Die Mädchen sangen weiter und saßen dabei Rücken an Rücken auf der Tischkante so dass ihre langen schwarzen Haare sich vermischten. Die Zuhörer, die sich in einem Halbkreis stehend um die improvisierte Bühne versammelt hatten, setzten sich wieder hin. Einige zogen sich zu gedämpften Gesprächen an die hinteren Tische zurück. Ich beobachtete das Harfenspiel des Mannes und bewunderte die Flinkheit seiner Finger. Es dauerte aber nicht lange, bis ein rotwangiger Schankbursche neben mir stand und nach meinen Wünschen fragte. Nur einen Krug Ale, antwortete ich ihm, und flugs war er wieder da mit dem vollen Krug und der Handvoll Kupfergroschen, die nach der Bezahlung von meinem Silberkurant übrig geblieben waren. Ich suchte mir einen Tisch in der Nähe der Musikanten und hoffte doch, dass jemand neugierig genug wäre, sich zu mir zu setzen. Doch nur einige der offensichtlichen Stammgäste schauten kurz zu mir herüber, ansonsten schien niemand großes Interesse an einem Fremden zu haben. Die Musikanten beendeten ihren Vortrag und begannen eine halblaute Unterhaltung. Ein Blick des älteren Mädchens machte mich erneut auf mein Gaffen aufmerksam, worauf ich meinen Blick auf die Tischplatte richtete.
Nach ungefähr dem halben Krug merkte ich, dass ich nicht mehr an Bier gewöhnt war, besonders nicht auf leeren Magen. Ich winkte den Schankjungen heran und bestellte etwas zu essen. Er brachte mir ein Stück von dem Braten, dazu eine Portion Wurzelgemüse, übergossen mit Brühe. Das und eine zweite Füllung für meinen Krug kostete mich den größten Teil meiner Kupfergroschen. Als ich wegen der Preise die Augenbrauen hob, zeigte sich der Junge überrascht. »Das ist nur die Hälfte von dem, was man Euch in der Spinnenjungfer abnehmen würde, Herr«, klärte er mich empört auf. »Und der Braten ist gutes Schafsfleisch, nicht jemandes alter Ziegenbock, der ein unrühmliches Ende genommen hat.«
Ich bemühte mich, die Wogen zu glätten. »Nun, ich nehme an, ein Silberkurant ist auch nicht mehr das, was er einmal war.«
»Mag sein, aber da kann ich nichts für«, entgegnete der Junge schnippisch und verschwand wieder in der Küche.
»Nun, da hat sich ein Viertel meiner Barschaft schneller verflüchtigt als gedacht«, sagte ich vor mich hin.
»Wenn das nicht ein Lied ist, das wir alle kennen«, bemerkte der Harfenspieler. Er saß mit dem Rücken zu seinem eigenen Tisch und beobachtete mich, während seine beiden Begleiterinnen über eine Flöte sprachen, die anscheinend nur schlecht zu spielen war. Ich nickte ihm lächelnd zu, dann aber fiel mir der graue Schleier über seinen blinden Augen auf.
»Ich bin schon eine Weile nicht mehr am Fluss gewesen«, erklärte ich ihm, weil er mein Nicken nicht gesehen haben konnte. »Ziemlich lange sogar, um genau zu sein, ungefähr zwei Jahre. Bei meiner letzten Reise auf dem Fernweg waren Gasthäuser und Mahlzeiten weniger
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