Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Gabe und stattdessen nicht ihrer Willkür ausgeliefert gewesen wäre, hätte ich mir Gewissheit verschaffen können. Der Gedanke trug wenig dazu bei, mich aufzuheitern.
Als ich zur › Waage ‹ zurückkehrte, waren meine neuen Reisegefährten bereits aufgestanden und frühstückten Hafergrütze. Ich setzte mich zu ihnen, und Josh bekannte freimütig, sie wären alle schon der Meinung gewesen, ich hätte mich heimlich davongemacht. Imme würdigte mich keines Wortes, aber einige Male ertappte ich Melisma dabei, wie sie mich nachdenklich musterte. Es war noch immer früh am Morgen, als wir aufbrachen, und wenn wir auch nicht marschierten wie Soldaten, schritt Josh doch wacker voraus. Ich hatte geglaubt, er müsste geführt werden, doch er ließ sich von seinem Wanderstab den Weg weisen. Manchmal ging er neben Imme oder Melisma und hatte eine Hand auf der Schulter des Mädchens liegen; allerdings schien das mehr eine Geste der Vertrautheit zu sein als Notwendigkeit. Auch über Langeweile brauchten wir nicht zu klagen, denn beim Gehen belehrte Josh uns alle - hauptsächlich aber Melisma - über die Geschichte dieser Region und überraschte mich mit seinem umfassenden Wissen. Gegen Mittag legten wir eine kurze Rast ein, und die Musikanten teilten mit mir ihre karge Wegzehrung. Ich nahm es nicht gerne an, doch mir fiel keinerlei Vorwand ein, um mich für eine Zeitlang von ihnen zu trennen und mit dem Wolf zu jagen. Seit wir die Stadt hinter uns gelassen hatten, spürte ich, dass er uns folgte. Es war ein gutes Gefühl, Nachtauge in der Nähe zu wissen, trotzdem wünschte ich mir, er und ich wären wieder allein unterwegs. Mehrere Male wurden wir an diesem Tag von anderen Reisenden, zu Pferd oder auf Maultieren, überholt. Durch Schneisen in dem schmalen Waldstreifen zwischen Flusslauf und Straße erhaschten wir gelegentlich einen Blick auf flache Lastkähne, die sich gegen die Strömung flussaufwärts kämpften. Im Laufe des Vormittags mussten wir häufig Platz machen, um gut bewachte Karren und Fuhrwerke vorbeizulassen. Jedes Mal fragte Josh, ob wir ein Stück mitfahren dürften. Zweimal wurde höflich verneint, die anderen gaben überhaupt keine Antwort. Die Fuhrknechte ließen die Peitsche über den Zugtieren knallen, und eine Kolonne wurde von finster dreinblickenden Männern in einheitlicher Livree begleitet, was auf eine gemietete Schutzwache hindeutete.
Die Nachmittagsstunden vergingen zu Rezitationen von »Kreuzfeuers Opfermut«, der langen Verserzählung von Königin Clairvoyantes Zirkel und wie sie alle ihr Leben hingaben, um ihr zu helfen, eine entscheidende Schlacht zu gewinnen. In Bocksburg hatte ich sie früher einige Male gehört, doch bis zum Abend dieses Tages durfte ich nun das Epos noch zwei dutzendmal in voller Länge genießen, weil Josh nicht eher zufrieden war, bis Melisma sämtliche Strophen fehlerfrei aufsagen konnte. Ich war dankbar für die endlosen Wiederholungen, denn sie entbanden uns der Notwendigkeit einer Unterhaltung.
Obwohl wir stetig marschierten, befanden wir uns gegen Abend noch ein gutes Stück weit weg vom nächsten Ort. Ich merkte, wie meine Begleiter unruhig wurden, als es anfing zu dämmern. Schließlich übernahm ich die Initiative und schlug vor, am nächsten Bach, den wir überquerten, die Straße zu verlassen und uns einen Platz für die Nacht zu suchen. Imme und Melisma fielen hinter Josh und mich zurück, und ich konnte sie besorgt miteinander flüstern hören. Natürlich durfte ich ihnen nicht verraten, dass, wie ich von Nachtauge wusste, nicht einmal der Hauch eines anderen menschlichen Wesens in der Nähe wahrzunehmen war. Am nächsten Wasserlauf führte ich sie bachaufwärts und fand einen geschützten Platz unter einen Zedernbaum, der mir als geeignetes Nachtlager erschien.
Ich entfernte mich unter dem Vorwand, einem Ruf der Natur folgen zu müssen, war aber dabei, Nachtauge zu suchen und ihm zu versichern, dass alles in Ordnung war. Der Abstecher erwies sich als lohnend, denn er wartete auf mich an einer Stelle, wo die Strömung das Ufer unterhöhlt hatte. Er schaute mir aufmerksam zu, als ich mich auf den Bauch legte, behutsam die Hände ins Wasser tauchte und durch den Pflanzenvorhang schob, der die Nische verbarg. Gleich bei meinem ersten Versuch gelang es mir, einen fetten Fisch zu fangen, und kurz darauf erwischte ich den etwas kleineren Bruder. Bei Einbruch der Dunkelheit hatte ich drei Fische für mich und meine Reisegefährten gefangen, während ich zwei
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