Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
stand neben ihm und fletschte in einem boshaften Grinsen die Zähne. Chad erschlaffte in dem unbarmherzigen Griff. Sein Blick hing wie gebannt an dem blanken Dolch und dem Lichtschein seiner Klinge, die sich ihm unaufhaltsam näherte.
Einen kurzen Augenblick lang teilte ich mit ihm den brennend kalten Schmerz an meiner Kehle, den fürchterlichen Moment des Begreifens, als mein warmes Blut über meine Brust strömte, bis alles vorbei und es zu spät war. - Dann war alles vorbei, ich war tot. Als Chad achtlos in den Schmutz der Seitengasse geworfen wurde, löste sich mein Bewusstsein von ihm und öffnete sich für einen furchtbaren Augenblick lang für die Gedanken des Korsaren. Ich hörte die raue, kehlige Stimme seines Kumpanen, der den toten Jungen mit der Stiefelspitze anstieß. Ich wusste, er machte dem Mörder Vorwürfe, diese Seele nicht für eine Entfremdung aufgespart zu haben. Der andere schnaubte verächtlich und erwiderte etwa sinngemäß, dass der Junge zu jung gewesen wäre und nicht genug Erinnerungen und Vergangenheit mitbrachte, um der Aufmerksamkeit des Meisters würdig zu sein. Es versetzte mich in einen wilden Aufruhr der Gefühle, als mir klarwurde, dass der Mörder sich hier an zwei Dingen auf einmal ergötzte: einem wehrlosen Kind mit dem Tod eine Gnade zu erweisen zu können und ihn dann mit eigener Hand gnadenlos töten zu dürfen.
Ich hatte einen Blick in das Herz meines Feindes getan, doch verstehen konnte ich ihn noch immer nicht.
Meines Körpers beraubt schwebte ich unschlüssig hinter ihnen her und fast wie ein Geist die Gasse entlang. Gerade eben hatte ich noch ein Gefühl der Dringlichkeit verspürt, doch das war nun verloren. Stattdessen trieb ich ziellos umher wie Rauch und beobachtete den Fall und Untergang von Grymmesmoor im Herzogtum Bearns. Wiederholt wurde ich von der Aura des einen oder anderen Einwohners eingefangen, war Zeuge eines Kampfes, eines weiteren Sterbens und einer geglückten Flucht. Bis heute kann ich meine Augen schließen und jene Nacht wiedererstehen lassen, für mich ein Kaleidoskop des Grauens mit Splittern aus einem Dutzend Leben, an denen ich nur flüchtig teilgenommen hatte. Irgendwann fand ich mich an einem Platz wieder, wo ein einzelner Mann mit einem mächtigen Schwert in der Faust vor seinem brennenden Haus stand. Er hielt drei Korsaren in Schach, während hinter ihm seine Frau und die Tochter sich bemühten, einen schwelenden Balken hochzuheben und den darunter eingeklemmten Sohn zu befreien. Sie wollten gemeinsam fliehen, keiner von ihnen dachte daran, die anderen im Stich zu lassen; aber ich spürte, dass der Mann schon zu erschöpft und vom Blutverlust geschwächt war, um sein Schwert noch lange zu führen. Die Korsaren spielten mit ihm Katz und Maus und brachten ihn dazu, seine Kräfte zu verausgaben, weil sie vorhatten, die ganze Familie zu ergreifen und zu entfremden. Die Kälte des nahenden Todes breitete sich in dem Körper des Mannes aus, und schon wollte ihm der Kopf auf die Brust sinken.
Doch plötzlich richtete der Bedrängte sich wieder auf, und ein seltsam vertrautes Leuchten trat in seine Augen. Er packte das Schwert mit beiden Händen und stürzte sich brüllend auf seine Gegner. Zwei davon machte er mit wenigen Hieben nieder, und sie starben mit dem Ausdruck höchster Überraschung auf dem Gesicht. Auch der dritte vermochte seiner Raserei nicht lange zu widerstehen. Blut tropfte vom Ellenbogen des Mannes und tränkte seine Kleider, doch sein Schwert tönte glockenhell gegen die feindliche Klinge, überwand ihre Abwehr, zuckte urplötzlich vor und zeichnete dann eine scharfe rote Linie über die Kehle des Korsaren. Der Mann wartete nicht ab, bis sein Gegner fiel, er wandte sich um und eilte an die Seite seiner Frau. Ohne Zögern bückte er sich, packte den schwelenden Balken und hob ihn von seinem Sohn herunter. Ein letztes Mal sahen Mann und Frau sich in die Augen. »Fort von hier!«, sagte er zu ihr. »Nimm die Kinder und bringt euch in Sicherheit.« Dann brach er zusammen. Er war tot.
Während die Frau mit versteinertem Gesicht nach den Händen ihrer Kinder griff und mit ihnen in der Nacht verschwand, sah ich ein geisterhaftes Wesen vom Körper des Toten aufsteigen. Mein erster Gedanke war: Das bin ich. Aber nein. Ich erkannte meinen Irrtum, als der Geist sich mir zuwandte. Die Ähnlichkeit unserer Gesichter - so hatte er also ausgesehen, als er in meinem Alter war. Mit Bestürzung nahm ich zur Kenntnis, dass Veritas noch immer
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