Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
deren harte Schule ich bereits seit meinem sechsten Lebensjahr gegangen war. So hätte man es sehen können, doch stattdessen fühlte ich, wie mir Tränen in den Augenwinkeln brannten. Ich hatte immer gerätselt, weshalb Philia nach Bocksburg zurückgekehrt war, um inmitten einer Gesellschaft, die ihr offenbar nicht zusagte, das Leben einer Einsiedlerin zu führen. Nun wusste ich es. Meinetwegen. Sie war gekommen, um dafür zu sorgen, dass mir kein Leid geschah.
Burrich hatte mich immer beschützt. Dann Chade und selbst Veritas auf seine ihm eigene Art. Nicht zu vergessen Listenreich, der mich schon früh zu seinem Vasallen gemacht hatte. Doch alle hatten sie, auf diese oder jene Weise, ein eigennütziges Interesse an meinem Wohlergehen. Sogar Burrich hätte es schwer in seinem Stolz verletzt, falls es jemandem gelungen wäre, mich zu töten, während ich unter seinem Schutz stand. Nur dieser Frau, die von Rechts wegen nichts als Abscheu für mich hätte empfinden dürfen, ging es bei dem, was sie tat, allein um mich. Sie war so oft töricht und aufdringlich und manch mal kaum zu ertragen, doch als unsere Blicke sich trafen, spürte ich, dass sie die letzte Mauer durchbrochen hatte, die noch zwischen uns stand. Ich bezweifelte es sehr, dass ihre schlichte Anwesenheit dazu beigetragen hatte, die Feindseligkeiten mir gegenüber zu vermindern. Im Gegenteil. Ihr Interesse an mir musste Edel ständig daran erinnert haben, wer mein Vater gewesen war. Doch es war nicht die Tat, sondern die Absicht, die mich rührte. Sie hatte ihr ruhiges Dasein mit ihren Hainen und Gärten aufgegeben, um hierher auf die hohen Klippen über dem Meer zu kommen, zu einer Burg mit feuchten Gemäuern, zu Menschen, unter denen sie sich fremd fühlte, allein um über den Bastardsohn ihres Gemahls zu wachen.
»Ich danke Euch«, sagte ich leise. Und es kam mir von Herzen.
»Nun«, sie wich meinem Blick aus, »nun, es ist gern geschehen, weißt du.«
»Ich weiß. Doch um die Wahrheit zu sagen, ich bin heute Morgen hergekommen, weil ich dachte, vielleicht sollte jemand Euch und Lacey warnen, auf der Hut zu sein. Die Zeiten sind unruhig, und man könnte Euch als - Hindernis sehen.«
Jetzt war es Philia, die laut und herzlich lachte.
»Ich? Ich, die wunderliche, unverständige, einfältige alte Philia!? Philia, die unfähig ist, länger als zehn Minuten bei einer Sache zu bleiben? Philia, die durch den Tod ihres Gemahls fast um den Verstand gebracht worden war? Mein Junge, ich weiß, was sie über mich reden. Niemand sieht in mir ein Hindernis oder eine Bedrohung. Ich bin weiter nichts als eine leichte Zielscheibe für Spötteleien, nur eine kuriose Erscheinung. Doch selbst wenn es sich anders verhielte, habe ich genügend Lebenserfahrung, um mich zu schützen. Und ich habe Lacey.«
»Lacey?« Meine Stimme klang ungläubig, ein Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit. Ich drehte mich um und zwinkerte Lacey zu, doch sie erwiderte meinen Blick mit gerunzelten Brauen, und ehe ich einen Finger rühren konnte, war sie von ihrem Schaukelstuhl aufgesprungen und bei mir. Eine der langen Stricknadeln bedrohte meine Halsschlagader, während die andere eine bestimmte Stelle zwischen meinen Rippen auf die Probe stellte. Ich hätte mir beinahe in die Hosen gemacht. Denn ich hob den Blick zu einer Frau, die mir plötzlich völlig fremd war, und wagte kaum zu atmen.
»Schäm dich, den Jungen so zu erschrecken«, wies Philia sie gutmütig zurecht. »Ja, Fitz, Lacey. Die begabteste Schülerin, die Hod jemals hatte, obwohl sie als schon erwachsene Frau zu ihr kam, um sich unterrichten zu lassen.« Während Philia sprach, kehrte Lacey zu ihrem Stuhl zurück, setzte sich und fädelte geschickt die Nadeln wieder in ihr Strickzeug. Ich schwöre, sie ließ nicht eine Masche fallen. Anschließend sah sie mich an, zwinkerte mir zu und strickte weiter, als wäre nichts gewesen. Ich atmete tief durch.
Ein ziemlich zurechtgestutzter Assassine verließ kurz da rauf die Gemächer der beiden bemerkenswerten Frauen. Auf dem Weg zur Treppe erinnerte ich mich an Chades Worte, ich würde Lacey unterschätzen. Ich fragte mich sarkastisch, ob das sein Sinn für Humor war oder ob er mich lehren wollte, mehr Respekt vor den scheinbar Sanftmütigen zu haben.
Dann drängten sich wieder die Gedanken an Molly in meine Überlegungen. Ich weigerte mich standhaft dagegen, konnte aber nicht der Versuchung widerstehen, den Kopf zu senken, um ihren schwachen Duft an der Schulter meines
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