Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
helfen?«, fragte er nüchtern. »Würdest du mir zuhören, wenn ich zu dir käme und nicht in Rätseln spräche? Würdest du auf merken und nachdenken und dir jedes Wort merken und sie später in deinem Herzen bewegen? Nun gut. Ich werde es versuchen. Kennst du das Kinderlied ›Sechs weise Männer gingen nach Jhaampe einst‹?«
Ich nickte, nicht weniger verwirrt als vorher.
»Sag’s mir auf.«
»Sechs weise Männer gingen nach Jhaampe einst / stiegen auf einen Berg, auf einen Berg. / Stiegen hinauf, doch hinunter nimmer / wurden zu Stein und flogen davon, flogen davon …« Plötzlich wusste ich nicht mehr weiter. »Den Rest habe ich vergessen. Es ist nur eins von diesen Kinderliedern, die einem im Gedächtnis bleiben, aber sonst nichts zu bedeuten haben.«
»Zweifellos und genau aus diesem Grund ist es auch bei den Wissenssprüchen aufgeführt«, stimmte der Narr mir übertrieben beflissen zu.
»Davon weiß ich nichts.« Ich war so aufgebracht, dass ich aus der Haut fahren mochte. »Du fängst schon wieder damit an. Nie kannst du verständlich reden, auch wenn du es vorgibst zu tun. Die Bedeutung deiner Worte entzieht sich mir.«
»Rätsel, mein lieber Firlefitz, sollen die Menschen zum Nachdenken anregen. Neue Wahrheiten in alten Weisheiten finden. Doch sei es, wie es wolle… Dein Verstand entzieht sich mir, wie soll ich ihn denn hervorlocken? Vielleicht, indem ich mich nachts unter dein Fenster stelle und singe:
Bastardprinzlein, Fitz, mein Herz,
Was bringst du mir Ärmstem großen Schmerz;
Gehst nicht vom Fleck, kommst nicht von hinnen,
Statt frisch und froh das Werk zu beginnen.«
Er war auf ein Knie gefallen und zupfte an seinem Zepter an nicht vorhandenen Saiten, während er hingebungsvoll sein Liedchen vortrug. Die Melodie gehörte zu einer bekannten Liebesballade. Er blickte zu mir auf, seufzte schmachtend, befeuchtete sich die Lippen und fuhr klagend fort:
»Weshalb ist ein Weitseher für die Weite blind,
Weshalb sieht er die Dinge nur, wie sie sind?
O Bastardprinzlein, Fitz, mein Schatz,
Ich mahne und warne, doch für die Katz’:
Von Feinden bedrängt, das Volk in Not,
Während du zauderst, schlägt man uns tot!«
Eine Dienstmagd, die vorbeikam, blieb stehen und hörte zu. Eine Tür ging auf, ein Page steckte den Kopf hinaus, sah zu uns her und grinste. Meine Ohren brannten vor Verlegenheit, denn der Narr gebärdete sich wie ein liebeskranker Troubadour unter dem Balkon seiner Angebeteten.
Ich versuchte weiterzugehen, als hätte ich nichts mit allem zu tun, doch der Narr rutschte auf den Knien hinter mir her und hielt mich am Ärmel fest. Wenn ich mich nicht erst recht lächerlich machen wollte, indem ich mich aufführte wie Jungfer Rührmichnichtan, musste ich stehenbleiben und das Unvermeidliche mit Fassung ertragen. Der Narr verdrehte die Augen, der Page kicherte, und weiter hinten im Gang kommentierten zwei Stimmen gut gelaunt meine Zwangslage. Ich weigerte mich allerdings, den Blick zu heben, um zu sehen, wer sich da auf meine Kosten amüsierte.
Der Narr spitzte die Lippen zu einem Kuss und fuhr mit vertraulich gesenkter Stimme fort:
»Will seine Wege das Schicksal dich zwingen?
Mit allen Gaben musst du dagegen ringen!
Auf! Nach Helfern im Streit die alten Schriften befragt,
Lerne, was du dir zu lernen versagt;
Noch liegt es bei dir, die Zukunft zu prägen,
Du kannst Gestalt und Gesicht ihr noch geben;
Brauchst du die Macht gegen die dunklen Gewalten,
Wirst du den Deinen die Heimat erhalten.
So bitt’ ich zu deinem und unserem Frommen,
Lass nicht die Dunkelheit über uns kommen.
Behüte unser Wohl und Leben,
Die wir in deine Hand gegeben.«
Nach einer wohlbemessenen Kunstpause sang er laut und lustig die letzte Strophe:
»Und sollt’s dich eitles Schwatzen deuchen,
Wie Fürze, die dem Arsch entfleuchen,
Will ich doch zur Reverenz mich bücken,
Was kaum ein Auge sah, soll deins entzücken!«
Und damit schlug er behände einen Purzelbaum, der kunstreich damit endete, dass er mir seine nackten Hinterbacken präsentierte. Sie waren erschreckend weiß, und ich vermochte weder meine Verblüffung noch meine Gekränktheit zu verhehlen. Der Narr sprang auf die Füße, wieder dem Anstand gemäß bedeckt, und Rätzel auf seinem Zepter verbeugte sich artig vor allen, die stehengeblieben waren, um das Publikum für meine Demütigung zu sein. Es wurde gelacht und Beifall geklatscht.
Mir hatten seine Possen die Sprache verschlagen. So würdevoll wie möglich wollte ich an
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