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Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote

Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote

Titel: Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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ausgerichtet, in dem ich König Listenreich zu Füßen fallen und ihn bitten konnte, Molly heiraten zu dürfen. Allein der Gedanke an sie erfüllte mich mit einer derart verwirrenden Mischung bisher unbekannter Gefühle, dass mein Schritt immer langsamer wurde, während ich versuchte, sie alle im Einzelnen zu ergründen. Doch das erschien mir bald als sinnlos. »Molly«, sagte ich leise vor mich hin. Wie ein magisches Wort Bestärkte es mich in meinem Entschluss und spornte mich an. Oben angekommen, klopfte ich diesmal laut an die Tür.
    Veritas’ Aufforderung hereinzukommen, fühlte ich mehr, als dass ich sie hörte. Ich trat ein.
    Was ich vor mir sah, war fast wie ein kleines Stillleben auf einem Gemälde. Veritas saß vor dem offenen Fenster auf seinem alten Armlehnstuhl. Seine Hände lagen müßig auf dem Sims, sein Blick war unverwandt auf den fernen Horizont gerichtet. Seine Wangen waren vom Morgenfrost gerötet, während der Wind in seinem schwarzen Haar wühlte. Bis auf die leichte Brise vom Fenster her war es im Zimmer ruhig und still, doch mir kam es so vor, als würde ich von einem Wirbelsturm erfasst. Veritas’ Bewusstsein umbrandete mich, sog mich ein, und zusammen mit seinen Gedanken und seiner Gabe wurde ich weit aufs Meer hinausgetragen. Er nahm mich mit auf seiner schwindelerregenden Reise zu jedem Schiff innerhalb seines geistigen Bewusstseinshorizonts. Einmal streiften wir die Gedanken eines Kapitäns auf einem Handelsschiff: ›… wenn der Preis stimmt, Öl als Rückfracht laden …‹ und ein anderes Mal waren wir schon bei einer Netzflickerin, die die Ahle fliegen ließ und leise murrte, als der Maat sie anfuhr, sie solle ihre Arbeit nicht vernachlässigen. Wir fanden einen Steuermann vor, der sorgenvoll an sein schwangeres Weib zu Hause dachte, und drei Familien, die in der grauen Morgendämmerung weit draußen Muscheln ernteten, bevor die Flut die Muschelbänke wieder überschwemmte. Diese und noch ein Dutzend andere Menschen besuchten wir, bis Veritas uns plötzlich in unsere eigenen Körper zurückversetzte. Ich fühlte mich so wirr im Kopf wie ein kleiner Junge, der von seinem Vater hochgehoben wurde, um das gesamte Chaos des Jahrmarkts zu überblicken, bevor er sich auf seinen eigenen Füßen wiederfindet und auf seinem kindlichen Gesichtshorizont von Knien und Beinen.
    Ich trat zum Fenster und stellte mich neben Veritas. Er starrte noch immer über das Meer zum Horizont. Plötzlich erschloss sich mir der Sinn seiner Karten und weshalb er sie zeichnete. Das ganze Netzwerk der Leben, das er für mich kurz Berührt hatte - es war, als hätte er die Hand geöffnet und mir die unvergleichlich kostbaren Juwelen gezeigt, die er darin barg. Menschen. Sein Volk. Nicht für eine felsige Küste oder saftiges Weideland hielt er Wache. Es waren diese Menschen, diese schillernde Vielfalt anderer Existenzen, deren Leben er zwar nicht leben konnte, denen er jedoch höchste Wertschätzung entgegenbrachte. Einen Moment lang teilte ich seine Verwunderung, dass irgendjemand den Wunsch haben könnte, diesen Menschen Leid zuzufügen, und ich teilte auch seine grimmige Entschlossenheit, dass den Roten Korsaren kein einziges dieser Leben mehr zum Opfer fallen sollte.
    Mein Schwindelgefühl verging und die Welt kam für mich wieder ins Gleichgewicht. Es war still. Veritas sprach, ohne mich anzusehen. »Nun? Geht es auf die Jagd?«
    Ich nickte, selbst wenn er es nicht sehen konnte. »Ja. Die Entfremdeten sind näher, als wir vermuteten.«
    »Rechnest du mit einem Kampf?«
    »Ihr habt mir geraten, auf alles vorbereitet zu sein. Erst werde ich noch einen Versuch mit Gift ködern machen, aber möglicherweise sind sie längst nicht mehr so ausgehungert, dass sie wahllos alles herunterschlingen. Für den Fall dass sie versuchen, mich trotz allem anzugreifen, habe ich aber lieber noch mein Schwert an der Seite.«
    »Das habe ich schon vermutet. Aber nimm lieber dieses.« Er hob vom Boden neben seinem Stuhl ein Schwert mit Scheide auf und legte es mir in die Hände. Im ersten Augenblick war ich sprachlos und konnte es nur anstarren. Das Leder war reich verziert, das Heft besaß jene seltene kunstvolle Schlichtheit hoher Handwerkskunst, wie sie nur die Hände und Werkzeuge eines wahren Meisters zustande bringen konnten. Dann gestattete mir Veritas mit einem Kopfnicken, in seiner Gegenwart die Klinge zu entblößen. Im Licht vom Fenster her glänzte sie hell, das Hämmern und Abkanten, das ihr Härte und Biegsamkeit

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