Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
das der Grund sein, wes halb wir nicht handeln?«
»Narr, ich will das nicht hören.«
»Du wurdest nicht dazu gezwungen. Dreimal hast du deinen Wunsch wiederholt, und nun ist es zu spät, davor die Ohren zu verschließen.« Er hob den Stab wie ein General und sprach weiter, als stünde er vor dem Rat der Herzöge. »Der Fall des Königreichs der Sechs Provinzen war der Stein, der die Lawine auslöste. Von dort breiteten sich die Seelenlosen aus wie ein Blutfleck auf der Welt bestem Hemd. Die Dunkelheit ist eine alles verschlingende Macht und erst gesättigt, wenn sie sich aus sich selber nährt. Und das alles nur, weil das Geschlecht der Weitseher erloschen ist. Das ist die Zukunft, wie sie gewoben ist. Doch warte! Weitseher?« Er legte den Kopf schräg und betrachtete mich wie eine Aaskrähe. »Weshalb nennt man dich so, Fitz? Was haben deine Ahnen jemals an Weitsicht unter Beweis gestellt, um sich diesen Namen wirklich zu verdienen? Soll ich dir sagen, wie es dazu kommt? Es ist die Zukunft, die aus der Tiefe der Zeit zu dir zurückgreift und dich bei dem Namen nennt, den dein Geschlecht eines Tages verdienen wird. Die Weitseher. Das war der Hinweis, den ich mir einst zu Herzen nahm. Dass die Zukunft zu dir zurückreichte, zu dem Punkt, wo euer Weg sich mit dem meinen kreuzt, und dir diesen Namen gab. Ich kam her, und was entdeckte ich? Einen Weitseher ohne Namen. Nirgends verzeichnet, nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Aber ich habe erlebt, wie du dir einen Namen genommen hast. FitzChivalric Weitseher. Und ich werde dafür sorgen, dass du ihn verdienst.« Er trat an mich heran und legte mir die Hände auf die Schultern. »Wir sind hier, Fitz, du und ich, um den Lauf der Welt zu verändern. Um mit all unserer Kraft den kleinen Stein an Ort und Stelle zu halten, ohne den der gewaltige Felsblock mit verheerender Gewalt zu Tal stürzen würde.«
»Nein.« Eine schreckliche Kälte stieg in mir empor und schüttelte mich. Meine Zähne klapperten, mir wurde schwarz vor Augen und die gleißenden Lichtpunkte tanzten am Rand meiner Wahrnehmung. Ein Anfall. Hier und jetzt, vor den Augen des Narren. Der Gedanke war mir unerträglich. »Geh!«, schrie ich. »Geh weg! Sofort! Schnell, schnell!«
Noch nie hatte ich den Narren derart erstaunt gesehen. Ihm blieb tatsächlich der Mund offenstehen, man sah seine kleinen weißen Zähne und die blasse Zunge. Für einen Moment gruben sich seine Finger in meine Schultern, dann ließ er mich los. Mir war völlig gleichgültig, was er über mein seltsames Benehmen dachte. Ich riss die Tür auf, wies mit dem ausgestreckten Arm auf den Gang hinaus, und er war fort. Hinter ihm schob ich den Riegel vor, taumelte zu meinem Bett und fiel der Länge nach auf die Kissen. »Molly!«, rief ich, »Molly, hilf mir!« Aber ich wusste, sie konnte mich nicht hören, und so war ich allein und alles verdüsterte sich um mich herum.
Der Schein von hundert Kerzen. Girlanden aus Immergrün, Stechpalmensträuße und kahle schwarze Winterzweige, behängt mit glitzerndem Süßigkeiten zur Freude von Augen und Gaumen. Durch die Halle klang das Klappern der hölzernen Schwerter der Marionetten und das Jauchzen der Kinder, als dem Scheckigen Prinzen tatsächlich der Kopf abgeschlagen wurde und in hohem Bogen über die Zuschauer flog. An anderer Stelle sang der Troubador Samten lauthals ein Trinklied, während seine Finger wie selbstständig über die Saiten der Harfe tanzten. Da drang ein Schwall kalter Luft herein, als sich die Türen der großen Halle öffneten, um einen weiteren Trupp festlich gestimmter Gäste einzulassen. - Mir kam langsam die dämmernde Erkenntnis, dass ich das alles nicht träumte, sondern dies war das Winterfest, und ich wanderte, von einer milden Glückseligkeit erfüllt, durch das vergnügte Treiben, lächelte in Gesichter und nahm dennoch keines wahr. All meine Bewegungen waren langsam, ich fühlte mich wie eingehüllt in weiche Wolle, trieb förmlich dahin wie ein unbemanntes Segelboot an einem windstillen Tag. Eine wunderbare Schläfrigkeit erfüllte mich. jemand berührte meinen Arm. Ich drehte mich um. Es war Burrich, der mich stirnrunzelnd etwas fragte. Seine tiefe Stimme wirkte fast eine Farbe, die von ihm zu mir flutete, wenn er sprach. »Alles ist gut«, versicherte ich ihm. »Keine Sorge, alles ist gut.« Ich schwebte weiter und folgte dem Strom der Menge.
König Listenreich saß auf seinem Thron, aber ich wusste jetzt, er war aus Papier gemacht. Der Narr
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