Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
sich selbst, plötzlich euphorisch und unerträglich selbstgefällig. »Und dann, wenn bestimmte Kinder geboren werden, so unverkennbar gezeichnet, dass die Geschichte sich ihrer erinnern muss, sind sie aufgerufen, den Schritt nach vorn zu tun, ihre Plätze in jener zu künftigen Geschichte zu finden. Und man mag sie des Weiteren ermuntern, jenen Ort zu erforschen, diesen Knotenpunkt von hundert Fäden, und zu sagen, diese Fäden hier, das sind diejenigen, an denen ich zupfen werde, und damit verändere ich den Teppich, verändere ich das Muster, verändere ich die Farbe dessen, was sein wird. Ich verändere das Schicksal der Welt.«
Er machte sich lustig über mich, da ran hatte ich nun keinen Zweifel mehr. »Einmal in vielleicht tausend Jahren mag es einen Menschen geben, der fähig ist, den Lauf der Welt in solchem Ausmaß zu beeinflussen. Ein mächtiger König oder Philosoph, der die Gedanken Tausender formt. Aber du und ich, Narr? Wir sind Staubkörnchen. Schlichtes Fußvolk.«
Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Das ist, was ich an euch Leuten hier nicht verstehe. Ihr lasst die Würfel rollen und gebt zu, dass das ganze Spiel davon abhängt, wie sie fallen. Ihr teilt Karten aus und sagt, dass das Blatt in seiner Hand über Glück oder Unglück eines Mannes entscheidet. Doch über eines Menschen ganze Lebensspanne rümpft ihr die Nase und sagt: Dieser Fischer, dieser Zimmermann, dieser Dieb, dieser Koch - was können sie aus richten in der großen weiten Welt? Und so lasst ihr euer Leben ausbrennen, flackernd und zischend wie eine Kerze im Wind.«
»Nicht alle Menschen sind für Großes bestimmt«, erinnerte ich ihn.
»Bist du sicher, Fitz? Bist du sicher? Wozu ist ein Leben gut, das gelebt wird, als wäre es ohne jede Bedeutung für den großen Plan der Welt? Etwas Jämmerlicheres kann ich mir nicht denken. Weshalb sollte eine Mutter nicht zu sich sagen: Wenn ich dieses Kind mit Sorgfalt großziehe, wenn ich es liebe und umhege, wird es eine Freude sein für alle, die es kennen, und dadurch habe ich die Welt verändert? Weshalb sollte nicht der Bauer, der ein Saatkorn in die Erde legt, zu seinem Nachbarn sagen: Dieser Samen, den ich heute pflanze, wird eines Tages jemanden ernähren, und dadurch habe ich die Welt verändert?«
»Das ist pure Philosophie, Narr. Ich habe nie die Zeit gehabt, mich mit derlei Dingen zu befassen.«
»Nein, Fitz, das ist das Leben. Und niemand hat die Zeit, sich nicht mit derlei Dingen zu Befassen. Jedes Geschöpf auf der Welt sollte daran denken, in jeder einzelnen Sekunde, solange das Herz schlägt. Andernfalls, was hätte es denn für einen Sinn, jeden Morgen von neuem aufzustehen und in die Welt hinauszugehen?«
»Narr, das ist zu hoch für mich«, wehrte ich unbehaglich ab. Ich hatte ihn nie so leidenschaftlich erlebt, ihn noch nie so offen reden hören. Es war, als hätte ich in den verkohlten Holzresten eines erloschenen Feuers gestochert und plötzlich die Glut unter der Asche gefunden. Er brannte zu hell.
»Nein, Fitz. Ich bin zu dem Schluss gekommen, es ist durch dich.« Er tippte mir mit Rätzel leicht gegen die Brust. »Schlussstein. Tor. Kreuzweg. Vermittler. All das bist du gewesen und wirst es weiterhin sein. Wann immer ich an die Gabelung gelange, wann immer die Spur sich verliert, wenn ich mit der Nase über den Boden stöbere und suche, treffe ich auf eine Witterung. Auf deine Witterung. Du erschaffst neue Möglichkeiten. Während du existierst, lässt sich die Zukunft formen. Deinetwegen bin ich hergekommen, Fitz. Du bist der Faden, an dem ich zupfe. Einer davon jedenfalls.«
Eine plötzliche Vorahnung ließ mich frösteln. Was immer er noch zu sagen hatte, ich wollte es nicht hören. Irgendwo in weiter Ferne erhob sich ein langgezogenes Wolfsgeheul. Die Stimme eines Wolfs zur Mittagsstunde. Jedes Haar an meinem Körper richtete sich auf. »Du hast deinen Spaß gehabt«, sagte ich und lachte gezwungen. »Ich hätte es besser wissen müssen, als von dir ein wirkliches Geheimnis zu erwarten.«
»Ob du es nun bist oder nicht. Der Dreh- und Angelpunkt. Der Anker. Der Knoten im Garn. Ich habe das Ende der Welt gesehen, Fitz. So deutlich eingewoben gesehen wie meine Geburt. Oh, nicht innerhalb deiner Lebensspanne, auch nicht in meiner. Aber ist es ein Glück zu wissen, dass wir in der Abenddämmerung leben, statt in der finsteren Nacht? Ist es ein Grund zur Freude, dass wir nur leiden, während eure Nachfahren die Qualen der Verdammten erdulden werden? Soll
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