Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
musterte mich nachdenklich. »Vieles von dem, was du mir erzählst, überrascht mich nicht. Entfremdete, die sich um Bocksburg zusammenrotten, das Siechtum des Königs. Aber sein Gesundheitszustand hat sich schneller verschlechtert, als ich es mir erklären kann, und diese Zustände in seinen Gemächern sind mir ein Rätsel. Außer …« Er sprach den Gedanken nicht aus. »Vielleicht glaubt man, Lady Quendel wäre seine einzige Verteidigerin gewesen. Vielleicht glaubt man, niemand sorgte sich mehr um ihn, er wäre ein vereinsamter alter Mann, ein Hindernis, das leicht aus dem Weg zu schaffen sei. Deine Achtlosigkeit hat die Ratten aus ihren Löchern hervorgelockt, und dadurch bietet sich uns womöglich die Gelegenheit, sie zu packen.« Er seufzte. »Ich dachte, ich könnte Wallace als Werkzeug benutzen, ihn durch das Zutun und den Rat Dritter unauffällig lenken. Der Mann besitzt keinerlei nennenswerte medizinische Kenntnisse, er ist ein Pfuscher. Aber das Werkzeug, das ich unbewacht herumliegen ließ, hat sich, wie es scheint, ein anderer zunutze gemacht. Wir werden sehen. Dennoch gibt es Wege, diesen Umtrieben Einhalt zu gebieten.«
Ich biss mir auf die Zunge, bevor mir Edels Name entschlüpfen konnte. »Wie?«, fragte ich stattdessen.
Chade lächelte. »Wie hat man dich im Bergreich als Meuchelmörder unschädlich gemacht?«
Die Erinnerung schmerzte. »Edel hat Kettricken mein Vorhaben verraten.«
»Genau. Wir werden etwas Licht in die Vorgänge in des Königs Gemächern bringen. Iss, während ich rede.«
Also hörte ich zu, wie er meine Aufträge für den nächsten Tag erläuterte, doch gleichzeitig prüfte ich, was er mir zu essen aufgetischt hatte. An Knoblauch war nicht gespart worden, ich wusste von seinem Vertrauen in dessen reinigende Eigenschaften. Ich fragte mich, was ich unwissentlich in mich aufgenommen hatte und inwieweit die Droge meine Erinnerung an das Gespräch mit dem Narren beeinflusste. Bei dem Gedanken daran, wie ich ihn hinausgeworfen hatte, zuckte ich förmlich zusammen. Noch jemand also, zu dem ich einen Bußgang antreten musste. Chade bemerkte meine Geistesabwesenheit. »Manchmal«, bemerkte er hintergründig, »muss man darauf vertrauen, dass die anderen Menschen wissen, welche Fehler man selbst hat.«
Ich nickte, dann musste ich plötzlich furchtbar gähnen. »Entschuldigung«, murmelte ich. Von einer Sekunde zur anderen wurden mir die Lider so schwer, dass ich kaum den Kopf hoch halten konnte. »Was hast du gesagt?«
»Nichts, unwichtig. Geh zu Bett. Ruhe dich aus. Schlaf ist der beste Heiler.«
»Aber ich habe dich nicht ein mal gefragt, wo du gewesen bist. Oder was du getan hast. Du kommst mir vor, als wärst du zehn Jahre jünger geworden.«
Chade spitzte die Lippen. »Ist das ein Kompliment? Aber lass gut sein. Solche Fragen wären ohnehin sinnlos, also kannst du sie dir für einen anderen Tag aufsparen und dich später aufregen, wenn ich mich weigere, sie zu beantworten. Was meine wundersame Verjüngung angeht - nun, je mehr man seinen Körper zwingt, etwas zu leisten, desto mehr kann er leisten. Die Reise war nicht leicht, doch ich glaube, die Anstrengung hat sich gelohnt.« Als ich den Mund aufmachte, hob er Einhalt gebietend seine Hand. »Und mehr werde ich dazu nicht sagen. Zu Bett jetzt, Fitz. Zu Bett.«
Mit der festen Absicht, seinem Rat zu folgen, ging ich die Treppe hinunter. Wie jedes Mal schnappte die Tür zu, kaum dass ich hindurchgetreten war; den Mechanismus dazu hatte ich in all den Jahren, die ich dieses Zimmer bewohnte, nicht entdecken können. Ich warf Holz ins Feuer, dann setzte ich mich auf mein Bett und zog das Hemd über den Kopf. Trotz meiner Müdigkeit bemerkte ich Mollys Duft, der, unter dem Stoff gefangen, jetzt von meiner warmen Haut aufstieg. Einen Moment zögerte ich mit dem Hemd in der Hand, dann zog ich es wieder an, ging zur Tür und schlüpfte in den Flur hinaus.
Nach dem Maßstab einer gewöhnlichen Nacht war es spät, aber dies war die erste Nacht des Winterfestes. Die meisten der Feiernden würden bis zum Morgengrauen nicht ins Bett finden, und andere würden den Tag in einem anderen Bett als dem eigenen begrüßen. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als mir klarwurde, dass ich drauf und dran war, der letzteren Gruppe anzugehören.
Die Flure und Treppen lagen nicht still und verlassen da, wie sonst zu später Stunde. Gleichwohl waren die meisten von denen, die sich hierher zurückgezogen hatten, entweder zu betrunken oder zu
Weitere Kostenlose Bücher