Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
allem war es ein Sieg, versicherten wir uns. Als meine Kameraden dieses Mal los zogen, um sich zu betrinken, hatte ich Verstand genug, stattdessen zu Molly zu gehen. Und früh am Morgen erübrigte ich ein, zwei Stunden für Nachtauge. Wir jagten zusammen - es war ein ehrliches, sauberes Mäusemorden - und er versuchte, mich zu überreden, mit ihm fortzugehen. Ich beging den Fehler zu sagen, er wäre frei und könne gehen, wohin er wolle, doch damit verletzte ich nur seine Gefühle. Es kostete mich eine weitere Stunde, ihm begreiflich zu machen, was ich meinte. Auf dem Rückweg zum Schiff fragte ich mich, ob meine Bindungen zu ihm die Mühe wert waren, die es kostete, sie aufrecht zu erhalten. Nachtauge versicherte mir, ja, sie waren es.
Dies war der letzte klare Sieg für die Rurisk in einem Sommer, der sich endlos vor uns hinstreckte. Jeder Schönwettertag war ein Tag, an dem ich vielleicht wieder töten musste; ich versuchte, nicht daran zu denken, dass es auch Tage waren, an denen ich getötet werden konnte. Es kam zu zahl reichen Geplänkeln, oft machten wir die Jäger zu Gejagten, und an dem Küstenstreifen, vor dem wir patrouillierten, schien es bald tatsächlich weniger Überfälle zu geben. Doch die oft fast müßig wirkenden Patrouillenfahrten in leeren Gewässern vermittelten uns das Gefühl, nichts zu erreichen, zumal dem Feind nach wie vor erfolgreiche Überfälle gelangen. Oft genug liefen wir, kurz nachdem die Piraten verschwunden waren, in den Hafen einer Ortschaft ein und konnten nur noch helfen, die Toten zusammenzutragen und die Brände zu löschen. Dann tobte und fluchte Veritas in meinem Bewusstsein, dass die Nachrichtenübermittlung zu langsam vonstattenging, dass er nicht Schiffe und Truppen genug hatte, um überall zu sein. Die Raserei einer Schlacht wäre mir lieber gewesen als Veritas’ ohnmächtiges Wüten in meinem Kopf. Und es war kein Ende in Sicht, nur bei schlechtem Wetter gab es Atem pausen. Wir kannten nicht ein mal die genaue Anzahl der Roten Schiffe, die uns heimsuchten, denn sie sahen alle gleich aus, wie Erbsen in einer Schote. Oder wie Blutstropfen im Sand.
In jenem Sommer während meiner Zeit am Ruder der Rurisk hatten wir noch eine Begegnung mit einem Roten Schiff, die es wert ist, erzählt zu werden. Es war ein gespenstisches Erlebnis. In einer klaren Sommernacht waren wir von unseren Pritschen gejagt und zum Schiff in Marsch gesetzt worden. Veritas hatte hinter dem Bockskap ein Schiff der Korsaren entdeckt. Er wollte, dass wir ihn im Dunkeln überholten.
Justin stand am Bug und war durch die Gabe mit Serene in Veritas’ Turm verbunden. Veritas war wie ein wortloses Raunen in meinem Kopf, als er uns durch die Nacht zu dem Schiff lotste, das er mit der Gabe wahrgenommen hatte. Das Schiff und noch etwas anderes? Ich konnte ihn fühlen, wie er mit seinen Sinnen zu dem Schiff der Korsaren hinausgriff, sich dann aber wie ein Mann weiterbewegte, der sich im Dunkeln durch unbekannte Räume tastet. Ich spürte sein Unbehagen. Wir durften auf dem Schiff nicht sprechen, und unsere Ruderblätter waren mit Lappen umwickelt, als wir uns der vermuteten Position näherten. Nachtauge flüsterte mir zu, er könne sie wittern, und dann sichteten wir den Feind - ein langgestreckter, niedriger Schatten, der vor uns ruhig durchs Wasser glitt. Plötzlich ertönte von dort ein Schrei - man hatte uns entdeckt. Wir legten uns schnell in die Riemen, doch aus dem Nichts überfiel mich plötzlich eine unsägliche Angst. Mein Herz schlug wie ein Hammer, meine Hände begannen zu zittern. Das Grauen, das mich durchflutete, war eines Kindes namenlose Furcht vor den Kreaturen der Dunkelheit, eine hilflose Furcht. Ich umklammerte das Ruder, doch meinen Armen fehlte die Kraft, es zu bewegen.
»Korrikska«, hörte ich einen Mann stöhnen, dem breiten Akzent nach ein Outislander. Nonge vielleicht. Mir wurde bewusst, dass ich nicht als Einziger von diesem Schrecken ergriffen war. Einige von uns saßen zusammengesunken auf ihren Seekisten, während andere wie besessen ruderten, ohne jedoch einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Wir schlingerten über die glatte Oberfläche wie ein Wasserläufer mit nur fünf Beinen, während das Rote Schiff zielstrebig auf uns zukam. Ich hob den Blick und sah meinem Tod entgegen. Das Blut rauschte so laut in meinen Ohren, dass ich das Schreien der von Panik ergriffenen Männer und Frauen um mich herum nicht hörte. Ich konnte nicht einmal atmen. Mein Blick ging zum Himmel.
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